Sara
»Er wird sie am Leben lassen.«
Und das könnte sogar noch schlimmer sein.
Besteck in der ersten Schublade. Vesperbeutel, Müllsäcke und fein säuberlich gebündelte Lebensmittelcoupons in der zweiten. In der dritten Grillhandschuhe und Topflappen -
»Mike, wo ist meine Mattie?«
Ich drehte mich so schuldbewußt um wie ein Mann, der dabei erwischt worden ist, wie er illegale Drogen mixt. Kyra stand am Wohnzimmerende des Flurs; das Haar fiel ihr in das schlaftrunkene Gesicht, die Haarschleife hatte sie wie einen Armreif über einem Handgelenk hängen. Ihre Augen waren groß und erschrocken. Nicht die Schüsse hatten sie geweckt, wahrscheinlich nicht einmal der Schrei ihrer Mutter. Ich hatte sie geweckt. Meine Gedanken hatten sie geweckt.
In dem Moment, als mir das klar wurde, versuchte ich irgendwie, sie abzuschirmen, aber es war zu spät. Sie hatte meine Gedanken an Devore gut genug lesen können, um mir zu sagen, daß ich nicht an traurige Sachen denken sollte, und
nun las sie, was mit ihrer Mutter passiert war, bevor ich es verdrängen konnte.
Sie sperrte den Mund auf. Ihre Augen wurden groß. Sie kreischte, als wäre ihre Hand in einem Schraubstock eingeklemmt, und rannte zur Tür.
»Nein, Kyra, nein!« Ich rannte durch die Küche, wäre fast über Rommie gefallen (der mich mit der dumpfen Begriffsstutzigkeit von jemandem ansah, der nicht mehr ganz bei Bewußtsein ist) und bekam sie gerade noch zu fassen. Im selben Augenblick sah ich Buddy Jellison, der die Baptistenkirche durch eine Nebentür verließ. Zwei der Männer, mit denen er eine Zigarette geraucht hatte, gingen mit ihm. Nun begriff ich, warum Bill sich so sehr an Yvette festklammerte, und schätzte ihn dafür - schätzte sie beide. Etwas wollte, daß er mit Buddy und den anderen ging … aber Bill ging nicht mit.
Kyra wehrte sich in meinen Armen, machte konvulsivische Bewegungen Richtung Tür, holte keuchend Luft und schrie sie wieder hinaus. » Laß mich los, will Mommy sehen, laß mich los, will Mommy sehen, laß mich los -«
Ich rief ihren Namen mit der einzigen Stimme, von der ich wußte, daß sie sie auch hören würde, mit der nur ich zu ihr sprechen konnte. Sie entspannte sich nach und nach in meinen Armen und drehte sich zu mir um. Ihre Augen waren groß und verwirrt und glänzten von Tränen. Sie sah mich noch einen Moment an, dann schien sie zu begreifen, daß sie nicht hinausgehen durfte. Ich setzte sie ab. Sie stand einen Moment nur da, dann wich sie zurück, bis sie mit dem Rücken vor der Spülmaschine stand. Sie glitt an der glatten weißen Oberfläche hinab auf den Boden. Dann fing sie an zu wimmern - der grauenhafteste Ausdruck von Trauer, den ich je gehört habe. Sehen Sie, sie begriff vollkommen. Ich mußte ihr so viel zeigen, daß sie im Wohnwagen blieb, das mußte ich … und weil wir zusammen in der Zone waren, konnte ich es.
Buddy und seine Freunde saßen in einem Pickup und fuhren in unsere Richtung. BAMM CONSTRUCTION stand auf der Seite.
»Mike!« rief George. Er hörte sich verstört an. »Sie müssen sich beeilen!«
»Durchhalten!« rief ich zurück. »Durchhalten, George!«
Mattie und die anderen hatten damit angefangen, Picknicksachen neben der Spüle aufzustapeln, aber ich bin fast sicher, daß die Resopalplatte über den Schubladen sauber und leer gewesen war, als ich hinter Kyra herlief. Jetzt nicht mehr. Die gelbe Zuckerdose war umgeworfen worden. In dem verschütteten Zucker stand geschrieben:
»Ohne Scheiß«, murmelte ich und durchsuchte die verbliebenen Schubladen. Kein Band, kein Seil, nicht einmal ein lausiges Paar Handschellen, dabei kann man damit rechnen, in jedem gutsortierten Küchenschrank drei oder vier zu finden. Dann hatte ich eine Idee und sah in dem Schränkchen unter der Spüle nach. Als ich wieder hinausging, schwankte unser George auf den Füßen, und Footman sah ihn mit einer raubtierhaften Konzentration an.
»Haben Sie Klebeband gefunden?« fragte George Kennedy. »Nein, etwas Besseres«, sagte ich. »Sagen Sie mir, Footman, wer hat Sie bezahlt? Devore oder Whitmore? Oder wissen Sie es nicht?«
»Leck mich«, sagte er.
Ich hielt die rechte Hand hinter dem Rücken. Nun zeigte ich mit der linken bergab und brachte einen überraschten Gesichtsausdruck zustande. »Was, zum Teufel, hat Osgood hier zu suchen? Sagen Sie ihm, daß er verschwinden soll!«
Footman sah in die Richtung - es war ein Reflex -, und ich schlug ihm mit dem Hammer Marke Craftsman, den ich unter Matties Spüle
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