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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sich schwindlig fühlte. »Bitte, setzen Sie sich.«
    Er betrachtete meine Zeitung, die, beim Kreuzworträtsel aufgeschlagen, in der Sonne lag, als er in meine Nische schlüpfte. »Finden Sie nicht auch, daß das Lösen des Kreuzworträtsels in den Derry News so ähnlich ist, als würde man beim Baseball den Werfer ausschalten?« fragte er.
    Ich lachte und nickte. »Ich mache es aus demselben Grund, warum die Leute den Mount Everest besteigen, Mr. Roberts … weil es da ist. Nur stürzt beim Kreuzworträtsel der News keiner ab.«
    »Nennen Sie mich Ralph. Bitte.«
    »Okay. Und ich bin Mike.«
    »Gut.« Er grinste und entblößte Zähne, die schief und ein wenig gelb, aber noch seine eigenen waren. »Ich spreche Leute gern beim Vornamen an. Das ist, als könnte man die Krawatte abnehmen. War eine ordentliche Mütze Wind, die wir da hatten, nicht?«
    »Ja«, sagte ich, »aber jetzt wird es allmählich wärmer.« Das Thermometer hatte einen seiner schwachen März-Schübe hinter sich und war von minus vier Grad in der Nacht auf plus zehn heute morgen gestiegen. Aber noch besser als der Temperaturanstieg war, daß uns die Sonne wieder warm ins Gesicht schien. Diese Wärme hatte mich aus dem Haus gelockt.
    »Ich schätze, der Frühling kommt. In manchen Jahren verirrt er sich ein wenig, scheint aber doch jedesmal den Heimweg zu finden.« Er trank von seinem Kaffee, dann stellte er die Tasse hin. »Ich hab’ Sie in letzter Zeit nicht beim Roten Kreuz gesehen.«
    »Ich recycle noch«, sagte ich, aber das war geschwindelt; turnusmäßig hätte ich vor zwei Wochen schon wieder einen halben Liter spenden können. Die Gedächtnisstütze klebte am Kühlschrank. Ich hatte nur nicht mehr daran gedacht. »Nächste Woche bestimmt.«

    »Ich erwähne es nur, weil ich weiß, daß Sie Blutgruppe A haben, und die können wir immer brauchen.«
    »Reservieren Sie eine Liege für mich.«
    »Verlassen Sie sich darauf. Ist sonst alles in Ordnung? Ich frage nur, weil Sie müde aussehen. Wenn es Schlaflosigkeit ist, haben Sie mein vollstes Mitgefühl, glauben Sie mir.«
    Ich fand, er hatte tatsächlich das Aussehen von jemand, der an Schlaflosigkeit litt - irgendwie zu groß um die Augen herum. Aber er war ein Mann von Mitte bis Ende Siebzig, und ich glaube, niemand kommt so weit, ohne daß man es ihm ansieht. Ist man eine Weile dabei, landet das Leben vielleicht nur leichte Schläge auf Wangen und Augen. Ist man längere Zeit dabei, sieht man am Ende aus wie Jake La Motta nach harten fünfzehn Runden.
    Ich machte den Mund auf, um zu sagen, was ich immer sage, wenn mich jemand fragt, ob alles in Ordnung ist, aber dann fragte ich mich, warum ich mich immer verpflichtet fühlte, diese ermüdende Marlboromann-Scheiße abzuziehen, wen wollte ich damit hinters Licht führen? Was würde passieren, wenn ich dem Mann, der mir beim Roten Kreuz einen Schokokeks gab, wenn mir die Schwester die Nadel aus dem Arm gezogen hatte, erzählen würde, daß ich mich nicht hundertprozentig fühlte? Erdbeben? Feuer und Sintflut? Scheiße.
    »Nein«, sagte ich, »mir geht es wirklich nicht so gut, Ralph.«
    »Grippe? Die geht um.«
    »Nee. Diesmal hat mich die Grippe verschont. Und ich schlafe auch gut.« Das stimmte - der Traum von Sara Lacht war weder in seiner Normal- noch in der Super-Version wiedergekommen. »Ich glaube, ich bin einfach niedergeschlagen.«
    »Nun, Sie sollten Urlaub machen«, sagte er und trank von seinem Kaffee. Als er wieder aufsah, runzelte er die Stirn und stellte die Tasse weg. »Was? Stimmt was nicht?«
    Nein , wollte ich sagen. Sie waren ein fach nur der erste Vogel, der in der Stille gesungen hat, Ralph, das ist alles .

    »Nein, alles in Ordnung«, sagte ich, und dann wiederholte ich das Wort, weil ich einfach nur kosten wollte, wie es aus meinem eigenen Mund schmeckte. »Urlaub.«
    »Jawohl«, sagte er lächelnd. »Das machen die Leute andauernd.«
     
    Das machen die Leute andauernd . Damit hatte er recht; selbst Leute, die es sich strenggenommen nicht leisten konnten, gingen in Urlaub. Wenn sie müde waren. Wenn sie tief in ihrer eigenen Scheiße steckten. Wenn ihnen alles über den Kopf wuchs.
    Ich konnte mir sicher einen Urlaub leisten, und ich konnte es mir sicher leisten, freizunehmen - von welcher Arbeit, haha? -, und doch brauchte ich den Keksmann vom Roten Kreuz, der mich auf etwas aufmerksam machte, das einem Mann, der auf dem College gewesen war, hätte glasklar sein müssen: Ich hatte keinen richtigen Urlaub mehr gemacht,

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