Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
erstarrte mit der Hand vor Augen. Ich mußte mich gekratzt haben, als ich desorientiert in der Dunkelheit herumkroch und versuchte, das Bett wiederzufinden. Ich hatte einen flachen, verkrusteten Kratzer auf dem Handrücken, direkt oberhalb des Knöchels.

Kapitel 5
    Als ich sechzehn war, durchbrach einmal ein Flugzeug direkt über meinem Kopf die Schallmauer. Ich ging im Wald spazieren, als es geschah, und dachte vielleicht an eine Geschichte, die ich schreiben wollte, oder wie toll es wäre, wenn Doreen Fournier an einem Freitagabend schwach werden und sich von mir das Höschen ausziehen lassen würde, wenn wir am Ende der Cushman Road parkten.
    Auf jeden Fall war ich ganz in Gedanken und völlig überrascht, als der Knall ertönte. Ich warf mich flach auf den Boden, hielt die Hände über den Kopf, während mein Herz wie verrückt hämmerte, und war überzeugt, das Ende meines Lebens wäre gekommen (während ich noch Jungfrau war). In meinen vierzig Jahren war das das einzige, was es an schierem Grauen mit dem letzten Traum der ›Manderley-Serie‹ aufnehmen konnte.
    Ich lag auf dem Boden und wartete, daß der Hammer fiele, und als etwa dreißig Sekunden verstrichen waren und kein Hammer fiel, wurde mir klar, daß es nur ein Düsenjägerpilot des Luftwaffenstützpunkts Brunswick gewesen war, der nicht abwarten konnte, bis er über dem Atlantik war, um auf Mach 1 zu gehen. Aber, heilige Scheiße, wer hätte auch schon gedacht, daß es so laut sein würde?
    Ich stand langsam auf, und während sich mein Herzschlag allmählich wieder normalisierte, wurde mir klar, daß ich nicht das einzige Lebewesen war, das dieser Donnerschlag aus heiterem Himmel zu Tode geängstigt hatte. Zum erstenmal, soweit ich mich erinnern konnte, war das kleine Wäldchen hinter unserem Haus in Prout’s Neck völlig still. Ich stand in einem staubigen Strahl Sonnenlichts, zerdrückte Blätter auf Jeans und T-Shirt, hielt den Atem an und lauschte. Ich hatte noch nie so eine Stille gehört. Selbst an einem kalten Tag im Januar ist der Wald normalerweise voll von Geräuschen.

    Schließlich sang ein Fink. Nach zwei oder drei Sekunden Schweigen antwortete ein Blauhäher. Noch zwei oder drei Sekunden vergingen, dann trug eine Krähe ihr Scherflein bei. Ein Specht hämmerte nach Maden. Links von mir wuselte ein Erdhörnchen durch das Unterholz. Eine Minute nachdem ich aufgestanden war, herrschten wieder Leben und leise Geräusche im Wald; alles war wieder beim alten, und ich setzte meinen Weg fort. Ich vergaß jedenfalls diesen unerwarteten Donnerschlag nie, ebensowenig wie die tödliche Stille, die ihm folgte.
    Im Kielwasser des Alptraums dachte ich oft an jenen Tag im Juni, was an sich nicht weiter erwähnenswert ist. Die Situation hatte sich irgendwie verändert oder konnte sich verändern … aber zuerst kommt die Stille, während deren wir uns vergewissern, daß wir unverletzt sind und die Gefahr - wenn sie denn je bestanden hat - vorüber ist.
    Derry blieb sowieso den größten Teil der folgenden Woche eingeschlossen. Eis und heftige Windböen verursachten große Schäden während des Sturms, und ein plötzlicher Temperaturabfall um zwanzig Grad hinterher machte das Ausgraben schwer und behinderte die Aufräumarbeiten. Hinzu kommt, daß die Stimmung nach einem Märzsturm stets mürrisch und pessimistisch ist; er ereilt uns jedes Jahr (und wenn wir Pech haben, folgen noch zwei oder drei im April, um das Maß vollzumachen), wir scheinen aber nie darauf vorbereitet zu sein. Jedesmal, wenn wir eins übergezogen bekommen, nehmen wir es persönlich.
    Eines Tages gegen Ende der Woche kündigte sich endlich ein Wetterumschwung an. Ich nutzte es aus und ging auf eine Tasse Kaffee und Gebäck als zweites Frühstück in das kleine Restaurant drei Türen vom Rite Aid entfernt, wo Johanna ihre letzte Besorgung gemacht hatte. Ich trank und kaute und löste das Kreuzworträtsel in der Zeitung, als jemand fragte: »Könnte ich mich zu Ihnen setzen, Mr. Noonan? Es ist heute ziemlich voll hier.«
    Ich schaute auf und sah einen alten Mann, den ich kannte, aber nicht richtig einordnen konnte.
    »Ralph Roberts«, sagte er. »Ich arbeite freiwillig beim Roten Kreuz unten. Ich und meine Frau Lois.«

    »Oh, okay, klar«, sagte ich. Ich spende etwa alle sechs Wochen Blut beim Roten Kreuz. Ralph Roberts gehörte zu den Altvorderen, die hinterher Saft und Plätzchen verteilten und einem sagten, daß man nicht aufstehen oder schnelle Bewegungen machen sollte, wenn man

Weitere Kostenlose Bücher