Sara
stellen Sie sie zu den Taschenbüchern auf das Regal zurück, ja?« Das war nicht gut, denn die Geschichte würde die Runde machen, und die Leute würden sagen: »Bin nicht wirklich überrascht. Hat wahrscheinlich zu viele Bücher geschrieben. Bei so’ner Arbeit muß man ja’ne weiche Birne bekommen. Jetzt hat er Angst vor seinem eigenen Schatten. Berufsrisiko.«
Selbst wenn ich in meinem ganzen Leben nicht noch einmal hierherkam, wollte ich nicht, daß die Leute im TR diese Meinung von mir hatten, diese halbwegs verächtliche ›Da sieht man was einem zuviel Denken einbringt‹-Einstellung. Eine Menge Menschen scheinen sie Leuten gegenüber zu haben, die von ihrer Fantasie leben.
Ich würde Bill sagen, daß ich krank geworden war. In gewisser Weise stimmte das auch sogar. Oder nein … besser ich sagte ihm, daß jemand anders krank geworden war … ein Bekannter … jemand in Derry, mit dem ich häufiger zusammen war … vielleicht eine Freundin. ›Bill, diese Freundin von mir ist krank geworden, verstehen Sie, und deshalb …‹
Plötzlich blieb ich stehen, als das Licht auf die Motorhaube meines Autos schien. Ich war eine Meile im Dunkeln durch den Wald gegangen, ohne viele Geräusche im Wald zu hören, und selbst die lauteren hatte ich als Wild abgetan, das sich zum Schlafen niederlegte. Ich hatte mich nicht umgedreht, ob mir das Leichentuch-Ding folgte (oder vielleicht ein weinendes
Geisterkind). Ich hatte mich darauf eingelassen, eine Geschichte zu erfinden und auszuschmücken, was ich diesmal im Kopf getan hatte, statt auf Papier, aber dennoch war ich denselben ausgetretenen Pfaden gefolgt. Ich hatte mich so davon fesseln lassen, daß ich meine Angst völlig vergessen hatte. Mein Herz schlug wieder normal, der Schweiß auf meiner Haut trocknete, die Moskitos summten nicht mehr in meinen Ohren. Und als ich da stand, kam mir ein Gedanke. Als hätte mein Verstand geduldig gewartet, bis ich mich soweit beruhigt hatte, daß er mich an eine entscheidende Tatsache erinnern konnte.
Die Leitungen. Bill hatte meine Erlaubnis eingeholt, den größten Teil der alten Leitungen auszuwechseln, und das hatte der Klempner getan. Erst vor kurzem hatte er es getan.
»Luft in den Leitungen«, sagte ich und ließ den Lichtstrahl der Taschenlampe über den Kühlergrill meines Chevrolet gleiten. »Das habe ich gehört.«
Ich wartete, ob der tiefere Teil meines Verstandes das eine dumme, aufgesetzte Lüge nennen würde. Was er bleiben ließ … weil ihm klar war, vermute ich, daß es stimmen konnte. Luft in Rohrleitungen kann sich anhören wie sprechende Menschen, bellende Hunde oder weinende Kinder. Vielleicht hatte der Klempner sie entlüftet, und das Geräusch war etwas anderes gewesen … vielleicht auch nicht. Die Frage war, ob ich in mein Auto springen, zwei Zehntel einer Meile bis zum Highway zurücksetzen und dann nach Derry zurückfahren sollte, und das alles auf der Grundlage eines Geräuschs, das ich zehn Sekunden lang gehört hatte (vielleicht nur fünf), während ich obendrein ziemlich erregt und angespannt gewesen war.
Ich entschied, die Antwort lautete nein. Vielleicht genügte eine weitere Eigentümlichkeit, daß ich es mir wieder anders überlegte - und wahrscheinlich stammelte wie eine der Figuren aus Geschichten aus der Gruft -, aber das Geräusch, das ich gehört hatte, reichte nicht aus. Nicht wenn es mir soviel bedeutete, in Sara Lacht einen Neuanfang zu versuchen.
Ich höre Stimmen in meinem Kopf, und das schon, so lange ich zurückdenken kann. Ich weiß nicht, ob das zum notwendigen Rüstzeug eines Schriftstellers gehört; ich habe nie einen
anderen gefragt. Ich habe nie eine Veranlassung dazu gesehen, denn ich weiß, alle Stimmen, die ich höre, sind Versionen von mir. Dennoch kommen sie mir manchmal wie höchst reale Versionen anderer Menschen vor, und keine ist realer für mich - oder vertrauter - als die Stimme von Jo. Diese Stimme ertönte nun und hörte sich interessiert und auf eine ironische, aber sanfte Weise amüsiert an … und anerkennend.
Wirst du kämpfen, Mike?
»Ja«, sagte ich, stand in der Dunkelheit und sah Chrom im Licht der Taschenlampe funkeln. »Ich denke schon, Babe.«
Nun, dann geht das ja in Ordnung, richtig?
Ja. So war es. Ich stieg in das Auto ein, ließ es an und fuhr langsam den Weg hinunter. Und als ich zur Einfahrt kam, bog ich ab.
Als ich das Haus zum zweitenmal betrat, ertönte kein Weinen. Ich ging langsam durch das Erdgeschoß und behielt die Taschenlampe
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