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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und kein bißchen Angst hatte, fühlte ich mich in dem Moment, als ich den Arm um ihre Kehrseite legte, wie Willi der Pädophili. Mir war klar, daß jeder, der im kombinierten Büro und Aufenthaltsraum von Dickie’s Werkstatt saß, mich sehen konnte. Das ist eine der seltsamen Gegebenheiten für Männer mittleren Alters in meiner
Generation: Wir können kein Kind berühren, das nicht unser eigenes ist, ohne zu fürchten, andere könnten etwas Lüsternes in unserer Berührung sehen … oder ohne ganz tief in den Sickergruben unserer Psyche zu denken, daß wahrscheinlich etwas Lüsternes daran ist . Trotzdem brachte ich sie von der Straße runter. Das mußte sein. Sollten die Marschierenden Mütter von West-Maine kommen und es mir geben.
    »Bringst mich am Strand?« fragte das kleine Mädchen. Sie lächelte mit leuchtenden Augen. Ich stellte mir vor, daß sie wahrscheinlich mit zwölf schwanger sein würde, besonders wenn ich sah, wie cool sie ihre Baseballmütze trug. »Hast du dein Badehösi mit?«
    »Ich glaube, ich hab’ mein Badehösi zu Hause vergessen. Ist das nicht zu dumm? Liebes, wo ist deine Mom?«
    Wie als unmittelbare Antwort auf meine Frage kam das Auto, das ich gehört hatte, aus einer Nebenstraße an der Innenseite der Kurve geschossen. Es war ein Jeep Scout, auf beiden Seiten hoch mit Schlamm bespritzt. Der Motor knurrte wie etwas, das auf einem Baum saß und deswegen eine Mordswut im Bauch hatte. Der Kopf einer Frau lugte zum Seitenfenster heraus. Die Mom der kleinen Schönheit war offenbar vor Angst so von Sinnen, daß sie sich nicht hinsetzen konnte; sie fuhr in einer verrückten Kauerhaltung, und wenn wirklich ein Auto um diese spezielle Kurve der Route 68 gekommen wäre, wäre meine Freundin im roten Badeanzug wahrscheinlich auf der Stelle ein Waisenkind geworden.
    Der Scout schlingerte, der Kopf verschwand in der Kabine, ein Knirschen ertönte, als die Fahrerin hochschaltete und versuchte, ihre alte Mühle in etwa neun Sekunden von null auf sechzig zu bringen. Wenn schieres Entsetzen es hätte vollbringen können, hätte sie es geschafft, da bin ich ganz sicher.
    »Das ist Mattie«, sagte das Mädchen im Badeanzug. »Ich bin wütend auf sie. Ich laufe weg, um einen vierten am Strand zu haben. Wenn sie wütend ist, geh ich zu meiner weißen Nana.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon sie da redete, aber mir kam der Gedanke, daß Miss Bosox 1998 ihren vierten am Strand haben konnte; ich würde mich zu Hause mit einem Fünftel von etwas Hochprozentigem begnügen. Derweil winkte ich
mit dem Arm, den ich nicht unter dem Po des Mädchens hatte, über dem Kopf hin und her, und zwar so heftig, daß Locken ihres feinen blonden Haars zerzaust wurden.
    »He!« rief ich. »He, Lady! Ich hab’ sie!«
    Der Scout raste vorbei, beschleunigte immer noch und schien immer noch mordswütend darüber zu sein. Blaue Rauchwolken quollen aus dem Auspuff. Das alte Getriebe des Scout knirschte noch einmal böse. Es war wie eine verstörte Version von Geh aufs Ganze! : »Mattie, Sie haben es geschafft, in den zweiten zu schalten - möchten Sie aufhören und die Bauknecht-Waschmaschine nehmen, oder möchten Sie den dritten probieren?«
    Ich tat das einzige, was mir einfiel, nämlich mich mitten auf die Straße zu stellen, mich zu dem Jeep umzudrehen, der sich mittlerweile von mir entfernte, das Kind hoch über den Kopf zu halten und zu hoffen, daß Mattie uns im Rückspiegel sehen würde. Ich fühlte mich nicht mehr wie Willi der Pädophili; jetzt kam ich mir vor wie ein grausamer Auktionator in einem Disney-Zeichentrickfilm, der das niedlichste Ferkelchen des Wurfs dem Meistbietenden entgegenstreckt. Aber es funktionierte. Die schlammverklebten Bremslichter des Scout gingen an, ein dämonisches Heulen ertönte, als die mißhandelten Bremsen blockierten. Das war direkt vor Brooksie’s. Falls ein paar Oldtimer auf einen guten Vierten-Juli-Kaffeeklatsch da drin waren, würden sie jetzt eine Menge zu klatschen haben. Ich dachte, besonders gut würde ihnen der Teil gefallen, wenn Mom mich anschrie, daß ich ihr Baby rausrücken sollte. Wenn man nach langer Abwesenheit in sein Sommerhaus zurückkehrt, ist es immer nett, wenn man gleich den richtigen Start hat.
    Das Licht des Rückwärtsgangs leuchtete auf, und der Jeep kam mit gut zwanzig Meilen pro Stunde die Straße hoch auf uns zu. Nun hörte sich das Getriebe nicht mehr mordswütend an, sondern panisch vor Angst - bitte, sagte es, bitte hör auf, du bringst mich um. Das Heck

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