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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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in der Hand, bis ich jedes Licht eingeschaltet hatte, das ich finden konnte; falls am Nordende des Sees noch Leute mit Booten unterwegs waren, sah die alte Sara wahrscheinlich wie eine unheimliche Spielbergsche fliegende Untertasse aus, die über ihnen schwebte.
    Ich glaube, Häuser führen ein eigenes Leben in einem Zeitstrom, der sich von dem ihrer Besitzer unterscheidet, insofern er langsamer ist. In einem Haus, besonders einem alten, ist die Vergangenheit näher. In meinem Leben war Johanna fast vier Jahre tot, aber für Sara war sie viel näher. Erst als ich mich tatsächlich im Inneren befand, alle Lichter eingeschaltet und die Taschenlampe wieder auf das Bücherregal gestellt hatte, wurde mir klar, wie sehr mir vor meiner Ankunft gegraut hatte. Davor, daß die Spuren von Johannas unterbrochenem Leben meine Trauer erneut weckten. Ein Buch mit einer umgeknickten Ecke auf dem Tisch am Ende des Sofas, wohin Jo sich gerne im Nachthemd verkrochen hatte, um zu lesen und Pflaumen zu essen; die Pappkartonschachtel Quaker Oats, aus denen immer ihr Frühstück bestand, auf einem Fach in der Küche; ihr alter grüner Morgenmantel, der an der Badezimmertür im Südflügel hing, den Bill Dean immer noch den
›neuen Flügel‹ nannte, obwohl er angebaut worden war, bevor wir Sara Lacht auch nur gesehen hatten.
    Brenda Meserve hatte ganze Arbeit geleistet - eine humanitäre Arbeit -, diese Erinnerungen und Signale zu entfernen, aber alle hatte sie nicht entfernen können. Jos gebundene Ausgaben von Sayers’ Peter-Wimsey-Romanen hatten immer noch ihren Ehrenplatz mitten im Bücherregal im Wohnzimmer. Jo hatte den Elchkopf über dem Kamin stets Bunter genannt, und einmal hatte sie dem Elch, soweit ich mich erinnern kann ohne ersichtlichen Grund (es schien für einen Bunter ein ganz und gar unpassender Zierat zu sein), ein Glöckchen um den haarigen Hals gehängt. Es hing immer noch an seinem roten Samtband dort. Mrs. Meserve hatte sich vielleicht Gedanken über dieses Glöckchen gemacht und sich gefragt, ob sie es abnehmen oder dort lassen sollte, ohne zu wissen, daß Jo und ich, wenn wir uns auf der Couch im Wohnzimmer liebten (ja, dort hat es uns oft überkommen), den Akt ›Bunters Glöckchen läuten‹ genannt hatten. Brenda Meserve hatte ihr Bestes getan, aber jede gute Ehe ist ein geheimes Territorium, ein notwendigerweise weißer Fleck auf der Karte der Gesellschaft. Was andere nicht darüber wissen, macht sie zu etwas ganz Persönlichem.
    Ich lief herum, berührte Gegenstände, betrachtete Gegenstände, sah sie mit neuen Augen. Jo schien mir allgegenwärtig zu sein, und nach einer Weile ließ ich mich auf einen der alten Rohrstühle vor dem Fernseher fallen. Das Kissen gab unter mir einen Ton von sich, und ich konnte Jo sagen hören: » Entschuldige dich gefälligst, Michael!«
    Ich verbarg das Gesicht in den Händen und weinte. Ich nehme an, es war das letzte Aufbäumen meiner Trauer, aber das machte es nicht leichter zu ertragen. Ich weinte, bis ich glaubte, etwas in mir würde zerbrechen, wenn ich nicht aufhörte. Als ich endlich aufhören konnte, war mein Gesicht tränenüberströmt, ich hatte einen Schluckauf und dachte, daß ich mich in meinem ganzen Leben noch nie so müde gefühlt hatte. Mein ganzer Körper fühlte sich zerschlagen an - zum Teil von dem Fußmarsch, nehme ich an, aber hauptsächlich von der Anspannung, hierherzukommen … und dem Entschluß,
hierzubleiben. Zu kämpfen. Das unheimliche Phantomweinen, das ich gehört hatte, als ich das Haus betrat, obschon es mir nun sehr fern vorkam, hatte nichts genützt.
    Ich wusch mir das Gesicht an der Spüle in der Küche, rieb die Tränen mit den Handballen weg und putzte mir die verstopfte Nase. Dann trug ich meine Koffer zum Gästezimmer im Nordflügel. Ich hatte nicht die Absicht, im Südflügel zu schlafen, in dem Zimmer, wo ich zuletzt mit Jo geschlafen hatte.
    Das war ein Entschluß, den Brenda Meserve vorhergesehen hatte. Ein Strauß frischer Feldblumen stand auf dem Sekretär, dazu eine Karte: WILLKOMMEN, MR. NOONAN. Wäre ich emotional nicht so ausgelaugt gewesen, hätte der Anblick dieser Nachricht in der spitzen gestochenen Handschrift von Mrs. Meserve wahrscheinlich einen neuen Weinkrampf ausgelöst. Ich vergrub das Gesicht in den Blumen und atmete tief ein. Sie rochen gut, wie Sonnenschein. Dann zog ich mich aus, ließ die Kleidungsstücke liegen, wo sie hinfielen, und schlug die Bettdecke zurück. Frische Laken, frische Kissenbezüge;

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