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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Dutzend Sommerhäusern, die diskret an bewaldeten Hängen mit Fichten und Kiefern versteckt sind. Rechts hinunter kann man bis Halo Bay laufen, obwohl man einen Tag dafür brauchen würde, so zugewachsen wie die Straße heute ist.
    Ich blieb einen Moment auf der Straße stehen, dann rannte ich los und sprang ins Wasser. Noch während ich mit größter Anmut durch die Luft flog, fiel mir ein, daß ich beim letzten derartigen Sprung die Hand meiner Frau gehalten hatte.
    Die Landung geriet beinahe zur Katastrophe. Das Wasser war kalt genug, mich daran zu erinnern, daß ich vierzig war, keine vierzehn, und einen Augenblick blieb mir das Herz in der Brust stehen. Als der Dark Score Lake über meinem Kopf zusammenschlug, war ich fest überzeugt, daß ich nicht mehr lebend an die Oberfläche kommen würde. Man würde mich bäuchlings zwischen dem schwimmenden Floß und meinem kleinen Abschnitt der Straße treibend finden, ein Opfer des kalten Wassers und eines fettigen Villageburgers. Sie würden mir ›Deine Mutter hat immer gesagt, du sollst mindestens eine Stunde warten‹ auf meinen Grabstein schreiben.

    Dann berührten meine Füße die Steine und die schleimigen Algen, die auf dem Grund wuchsen, mein Herzschlag setzte wieder ein, und ich stieß mich in die Höhe wie ein Spieler, der kurz vor Schluß mit einem letzten Dunk ein knappes Basketballspiel entscheiden will. Als ich durch die Oberfläche brach, schnappte ich nach Luft. Wasser lief mir in den Mund, ich hustete es aus und klopfte mir mit einer Hand auf die Brust, um mein Herz anzuspornen - komm schon, Baby, mach weiter, du schaffst es.
    Ich kam auf den Boden zurück, stand bis zur Taille im Wasser und hatte diesen kalten Geschmack im Mund - Seewasser mit einem Beigeschmack von Mineralien, die man neutralisieren mußte, wenn man seine Kleider wusch. Genau das hatte ich geschmeckt, als ich am Rand der Route 68 stand. Ich hatte es geschmeckt, als Mattie Devore mir den Namen ihrer Tochter genannt hatte.
    Ich habe einen psychologischen Zusammenhang hergestellt, das ist alles. Von der Ähnlichkeit der Namen über meine tote Frau zu diesem See. Dessen -
    »Dessen Wasser ich schon ein- oder zweimal zuvor gekostet habe«, sagte ich laut. Um das zu bekräftigen, schöpfte ich Wasser mit der hohlen Hand - mit das sauberste und klarste im ganzen Staat, wie es in den Analyseprotokollen steht, die ich und alle anderen Mitglieder der sogenannten Western Lakes Association jedes Jahr bekommen - und trank es. Ich erlebte keine Offenbarung, sah keine plötzlichen Bilder im Kopf. Nur Wasser vom Dark Score, erst in meinem Mund, dann in meinem Bauch.
    Ich schwamm hinaus zum Floß, kletterte die dreisprossige Leiter an der Seite hoch, legte mich auf die heißen Bretter und war mit einem Mal sehr froh, daß ich gekommen war. Trotz allem. Morgen würde ich anfangen, mir eine Art Leben hier zurechtzuzimmern … es jedenfalls versuchen. Im Augenblick genügte es, halb dösend mit dem Kopf in der Armbeuge dazuliegen und zu wissen, daß die Abenteuer dieses Tages überstanden waren.
    Wie sich herausstellen sollte, stimmte das nicht ganz.

     
    In unserem ersten Sommer im TR fanden Jo und ich heraus, daß man das Feuerwerk in Castle Rock von der Veranda über dem See aus sehen konnte. Das fiel mir wieder ein, als es zu dämmern anfing, und ich dachte mir, daß ich die Zeit dieses Jahr im Wohnzimmer verbringen und mir einen Videofilm ansehen würde. Die Erinnerung an all die vielen Dämmerstunden des vierten Juli wachzurufen, die wir lachend und Bier trinkend da draußen verbracht hatten, während die großen Raketen explodierten, war keine gute Idee. Ich war auch so einsam genug, auf eine Weise einsam, die mir in Derry gar nicht bewußt geworden war. Doch dann fragte ich mich, warum ich hierhergekommen war, wenn nicht, um mich endlich den Erinnerungen an Johanna zu stellen - allen - und sie liebevoll zur Ruhe zu betten. Die Möglichkeit, wieder zu schreiben, schien mir nie ferner gewesen zu sein als in dieser Nacht.
    Es gab kein Bier - ich hatte vergessen, mir entweder im General Store oder im Village Café einen Sechserpack mitzunehmen -, aber dank Brenda Meserve hatte ich Cola. Ich nahm eine Dose Pepsi, machte es mir bequem, um die Lightshow zu betrachten, und hoffte, daß es nicht allzu schmerzlich werden würde. Hoffte, nehme ich an, daß ich nicht weinen würde. Nicht, daß ich mir etwas vormachte; es waren noch ein paar Tränen in mir drin, zugegeben. Ich mußte sie nur hinter mich

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