Sarah Dearly Bd. 5 - Verliebt, verlobt, verbissen
orten, wenn ich mich konzentriere.«
Er war zwar nicht wirklich mein Erzeuger, aber fast. Nachdem mein teuflisches Blind Date erstochen worden war, hatte Thierry mich mit seinem Blut vor dem Tod gerettet. Damit war die Verbindung zwischen uns geschaffen, von der ich bis heute angenommen hatte, dass nur ich sie hätte.
»Meine Kette ist weg«, erklärte ich mit zitternder Stimme. »Gideon hat sie kaputt gemacht.«
Er biss die Zähne zusammen. » Was ?«
»Und außerdem hat er das Zauberbuch verbrannt.«
»Verstehe.«
»Erklärst du mir jetzt, dass du das ja gleich gesagt hast?«
Mit grimmiger Miene erwiderte er: »Nein.«
»Das solltest du aber. Ich hätte es verdient.«
»Ich könnte nichts sagen, was die Situation verbessert.«
Da hatte er allerdings recht.
Er legte einen Arm um meine Schultern, lenkte mich einen Flur hinunter. Wir liefen und liefen scheinbar eine Ewigkeit, bis wir ein Parkhaus erreichten.
»Für den Fall, dass wir ihn brauchen, hatte ich den an einer zentralen Stelle in der Stadt abgestellt«, erklärte er und deutete mit dem Kopf auf einen weißen Lieferwagen.
Als ich entdeckt hatte, dass ich verflucht worden war und mich die Sonne in einen Chip verwandeln konnte, hatten wir schon einmal einen ähnlichen Lieferwagen benutzt. Es war keine sehr angenehme Fahrt gewesen, aber es hatte funktioniert. Auf diese Weise hatten wir den sonnenscheuen Nachtwandler von A nach B transportiert.
»Was soll ich tun?«, fragte ich ihn.
Er strich mir die Haare aus der Stirn und küsste mich sanft, dann nahm er mein Gesicht in seine Hände und blickte in meine schwarzen Nachtwandleraugen.
»Du steigst hinten in den Lieferwagen, und wir fahren zu George.«
»Aber…«
»Nein. Alles zu seiner Zeit, Sarah.«
»Kannst du mir sagen, dass alles wieder gut wird?«
Er legte den Kopf auf eine Seite. »Willst du, dass ich das sage?«
»Nur, wenn es stimmt.«
»Dann sollten wir uns mit solchen Versprechungen zurückhalten, bis wir entschieden haben, was wir als Nächstes tun.«
Er konnte seine Sorge nicht verbergen. Er konnte mich nicht davon überzeugen, dass alles in Ordnung war. Von allen Leuten, die ich kannte, war Thierry der größte Realist. Er hatte in seinem langen Leben schon eine Menge erlebt, was seinen Optimismus, sollte er jemals welchen besessen haben, eindeutig gedämpft hatte. Manche hielten ihn für einen überzeugten Schwarzseher, aber mittlerweile wusste ich es besser. Er hatte recht. Er machte keine gute Miene, wenn alles den Bach runterging. Er fand sich irgendwie damit ab und machte weiter.
Er musste sich mit mir abfinden.
Ich stieg hinten in den Lieferwagen. Er ließ meine Hand los, schlug wortlos die Hintertür zu, und ich war von Finsternis umgeben. Es gab keine Fenster, keine hübsche Aussicht, denn dann würde die Sonne hereinkommen.
Er hatte das vorbereitet, ohne mir etwas davon zu erzählen. Er wusste, dass das passieren konnte – dass es passieren würde .
Er war zwar kein Optimist, aber er hätte gut ein Pfadfinder sein können. Jeden Tag eine gute Tat.
Als der Wagen losfuhr, drückte ich mich mit dem Rücken an die kühle Seitenwand des Lieferwagens. Von dort, wo wir waren, wo immer das auch war – ich hatte irgendwie die Orientierung verloren -, brauchten wir fünfzehn Minuten bis zu Georges Haus.
Ich hörte ein Klopfen an der Hintertür, das mich darauf
vorbereiten sollte, dass sie gleich geöffnet würde. Ich wich zurück, und die Tür schwang auf. Das Licht erreichte mich zwar nicht, brannte mir aber in den Augen. Es war ein Vorgeschmack auf den Schmerz, der mich außerhalb des Wagens erwartete.
Thierry hielt eine ziemlich dicke schwarze Decke in Händen und hielt sie hoch.
»Komm«, forderte er mich auf. »George wartet.«
Ich kratzte mein letztes bisschen Mut zusammen, warf mich in seine Arme, und er bedeckte mich mit der Decke. So schnell wir konnten liefen wir zum Eingang. Es waren nur zwanzig Fuß, aber es war kein angenehmer Sprint.
Durch ein winziges Guckloch erspähte ich George, der auf der Türschwelle stand und ängstlich die Hände rang.
»Ich lade dich in mein Haus ein, Sarah Dearly!« Seine Stimme klang schrill.
Ach ja. Das hatte ich ganz vergessen. Ohne explizite Einladung konnte ich niemandes Zuhause mehr betreten.
Das war ziemlich unpraktisch.
Ich hatte schon einmal erfahren müssen, wie es sich anfühlte, wenn man gegen eine unsichtbare Tür stieß. Es war, als würde man gegen eine dicke Glaswand rennen. Unsichtbar, aber
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