Sarah Dearly Bd. 5 - Verliebt, verlobt, verbissen
schlicht mit undurchdringlicher Miene.
»Den Gideon mir vorhin gegeben hat«, gab sie unumwunden zu. »Es tut mir leid. Aber wie schon gesagt, ich will nur überleben.«
»Wovon sprichst du?«
Gideon trat neben Veronique. Er nahm ihre Hand und führte ihr verheilendes Handgelenk an seinen Mund, um es zu küssen. »Arme Veronique, wegen der Schmerzen tut es mir leid.«
»Das ist nichts.«
Mein Blickfeld wackelte, aber das kam vermutlich daher, dass ich am ganzen Leib zitterte. »Was zum Teufel geht hier vor?«
Gideon lächelte mich an. »Erinnerst du dich an die Frau, von der ich dir erzählt habe? Der Vampirin, die mich vor Jahren verführt hat, um ihren Hals zu retten?«
»Der beste Sex deines Lebens?« Ich erinnerte mich an die kleine Geschichte. Dann schoss mein Blick zu Veronique, und ich erinnerte mich an Gideons unordentliche Laken von gestern Nachmittag. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Das glaube ich nicht.«
»Du wirst das sicher nicht verstehen«, sagte sie schlicht, »aber Gideon ist sehr mächtig und wird noch mächtiger sein, wenn er heute Nacht gezeugt wurde. Außerdem hat er eine andere Meinung darüber, was es heißt, ein Vampir zu sein. Wie gesagt, ich will überleben. Warum sollte ich mich
nicht mit ihm verbünden, ganz besonders jetzt? Es muss ja niemand zu Schaden kommen. Wenn du gewusst hättest, dass ich über alles Bescheid weiß, hättest du dich nie zwingen lassen, von mir zu trinken. Das ist für alle das Beste. Glaub mir, Liebes. Ich tue das nicht, um dir oder irgendjemand anders wehzutun.«
Veronique war mit Gideon zusammen? Ich konnte verstehen, wenn auch nur ansatzweise, dass sie mit ihm geschlafen hatte, damit er sie nicht umbrachte – immerhin war er ziemlich scharf. Aber dass sie es jetzt freiwillig tat?
Ich war fassungslos, aber es ergab von Minute zu Minute mehr Sinn. Veronique war immer egoistisch gewesen. Sie schätzte ihr Dasein. Sie war einer der ältesten Vampire auf der ganzen Welt. Sie wollte überleben – egal um welchen Preis.
Ich wusste aus eigener Erfahrung, wie charmant und überzeugend Gideon sein konnte, wenn er etwas haben wollte.
Auch wenn ich ihr ihren Part in Thierrys Leben verübelte, hatte ich an sie geglaubt. Verdammt, ich sah sogar ein bisschen zu ihr auf. Wie zu einer viel, viel … viel … älteren Schwester. Ich war enttäuscht von ihr.
»Ich muss hier raus«, sagte ich bebend. »Wenn mir nach einem großen Drama wäre, hätte ich meinen Festplattenrekorder programmiert.«
Gideon schüttelte den Kopf. »Es ist ein sehr sonniger Tag. Ich rate dir, ohne deine Kette nicht vor Sonnenuntergang irgendwohin zu gehen.«
Ich trat langsam auf ihn zu. Er zuckte nicht vor mir zurück.
»Willst du mich wieder umbringen?«, fragte er.
»Nein.« Ich ergriff seine Hand. »Ich war etwas außer mir, dass du meine Kette kaputt gemacht hast und mir die Möglichkeit genommen hast, meinen Fluch zu brechen. Aber dich umzubringen oder deshalb auszurasten, bringt mich auch nicht weiter, oder?«
»Nein.«
Mit einer schnellen Bewegung riss ich die Zauberuhr von seinem Handgelenk. Ein Lichtschein strich über ihn hinweg, und eine Sekunde später war er wieder mit Narben übersät.
»Gib mir die Uhr zurück«, forderte er mit zusammengekniffenen Augen.
»Die?« Ich hielt ihm die Uhr eine Sekunde vor die Nase, wich dann jedoch schnell zurück, ließ die Uhr auf den Boden fallen und trat mit dem Absatz darauf. »Ups. Tut mir leid. Ich bin ausgerutscht.«
Es war jämmerlich, aber es fühlte sich gut an.
Er tastete sein vernarbtes Gesicht ab und zuckte zusammen. Veronique sah ihn schockiert an.
»Gut. Ich gehe.« Ich zog mich zurück und bewegte mich in Richtung Ausgang. »Willst du mich aufhalten?«
Er biss die Zähne zusammen. »Sarah, tu das nicht. Bleib hier. Bring dich nicht in Gefahr, nur weil du etwas beweisen willst.«
»Du kannst mich mal, Gideon.«
Sehr eloquent, schon gut, ich weiß.
Wortlos drehte ich ihm den Rücken zu und ging hinaus in den alten Buchladen.
»Ich werde dich finden, egal wo du hingehst«, rief Gideon
mir hinterher. »Das Ritual findet wie geplant statt. Das bisschen Zauberei spielt keine Rolle mehr. Wenn du mich erst gezeugt hast, verschwinden meine Narben sowieso.«
Als ich die Eingangstür aufstieß, lief mir eine Träne der Wut und Verzweiflung die rechte Wange hinunter, doch sie trocknete schlagartig, als ich vor den Club auf den Bürgersteig trat und das gleißende Sonnenlicht auf mich fiel.
16
W enn ich erklären
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