Sarah Maclean
„Oh! Und drei
Ballkleider ... nein, vier. Sie müssen natürlich atemberaubend
sein", erklärte Mariana und warf Madame Hebert einen be-
deutsamen Blick zu. „Miss Fiori muss London im Sturm er-
obern."
Callie lächelte über die Szene, die sich ihr bot. Mariana er-
wies sich als genau die richtige Begleitung. Juliana wirkte voll-
kommen fassungslos. Das arme Ding.
Mariana sah zu Callie. „Was habe ich vergessen?"
Zur Schneiderin gewandt, sagte Callie: „Spenzer, Pelissen,
Mäntel und Schultertücher, passend zum Rest... und dann na-
türlich Unterwäsche. Und Nachthemden."
Juliana sagte zum ersten Mal etwas. „Ich sehe nicht ein, wozu
ich neue Nachthemden brauche. Meine sind vollkommen in
Ordnung."
„Sie brauchen sie, weil Ihr Bruder bereit ist, Ihnen welche zu
kaufen", erklärte Mariana sachlich. „Warum also nicht?"
Juliana sah zu Callie. „Das ist zu viel. Ich bin doch nur noch
sieben Wochen hier."
Mitfühlend schüttelte Callie den Kopf, denn sie konnte das
Unbehagen der jüngeren Frau gut verstehen. Juliana kann-
te Ralston kaum, und nun gab sie auf seine Rechnung ein Ver-
mögen für Kleidung aus. Callie trat näher zu ihr und legte ihr
beruhigend die Hand auf den Arm. „Er will das doch für Sie
tun. Es war seine Idee. Ich weiß, Ihnen kommt das extravagant
vor..." Sie fing den klaren, besorgten Blick der jungen Frau auf.
„Lassen Sie ihn doch heute einmal den großen Bruder spielen."
Nach kurzem Nachdenken nickte Juliana. „Bene. Ich möchte
die Kleider aber vom Stil her ... italienischer haben."
Madame Hebert hörte das und schnaubte empört. „Sie glau-
ben, dass ich eine wilde Lilie nehme und so beschneide, dass
sie aussieht wie eine englische Rose? Sie sollen als strahlender
italienischer Stern vor den ton treten!"
Das entlockte Callie ein leises Lachen. „Famos. Wollen wir
die Stoffe aussuchen?"
Bei diesen Worten wurden die Angestellten der Schneide-
rin munter und begannen Stoffbahnen aufzurollen, ellenwei-
se Musselin und Satin, Jaconet und Krepp, Samt und gros de
Naples in jeder erdenklichen Farbe und in jedem erdenklichen
Muster.
„Welcher gefällt Ihnen denn?", erkundigte sich Callie.
Mit leicht benommenem Lächeln wandte Juliana sich den
Stoffbergen zu. Mariana trat dazu und hängte sich bei ihr ein.
Sie beugte sich vor und murmelte: „Diesen brombeerroten
Krepp finde ich herrlich. Der würde wunderbar zu Ihrem Haar
passen." Zu Callie sagte sie: „Was sagst du, Schwesterherz?"
Callie nickte zu einem hellgrünen Satin hinüber und sagte:
„Wenn Sie sich aus diesem Satin kein Abendkleid machen las-
sen, wäre ich sehr enttäuscht."
Juliana lachte. „Nun, dann werde ich wohl zugreifen müssen.
Mir gefällt ja dieser rosa Musselin."
Madame Hebert hob den Ballen hoch und reichte ihn an eine
Näherin weiter. „Eine ausgezeichnete Wahl, signorina. Dürfte
ich noch den goldenen Satin vorschlagen? Für den Abend na-
türlich."
Mariana drückte Julianas Arm und sagte munter: „Das macht
Spaß, nicht wahr?", worauf Juliana nickte und in Lachen aus-
brach. Raistons Schwester erwärmte sich rasch für ihre Auf-
gabe, und innerhalb einer Stunde hatte sie Farben und Stoffe
für alle Kleider ausgesucht. Während sie mit Mariana bei einer
Tasse Tee über Säume und Taillenlinien plauderte, stand Callie
abseits und strich über einen himmelblauen Satin, der ihr seit
Betreten des Salons immer wieder ins Auge gefallen war. Zum
ersten Mal seit langer Zeit hatte Callie wieder Lust, sich ein
Kleid arbeiten zu lassen. Für sich.
„Der Stoff, er ruft nach Ihnen, non ?" Die schwer akzentuierten Worte der Schneiderin rissen Callie aus ihren Gedanken.
„Es würde ein wunderschönes Kleid werden. Für Ihren nächs-
ten Ball. Dieser Stoff ist für einen Walzer wie geschaffen."
„Der ist herrlich!" Mariana war neben ihr aufgetaucht.
„Allerdings. Daraus müssen Sie sich etwas machen lassen!",
setzte Juliana hinzu.
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Danke, aber für ein
derartiges Kleid habe ich keine Verwendung."
Madame Hebert hob überrascht die Augenbrauen. „Sie gehen
nicht auf Bälle?"
„Oh, doch ..." Callie rang nach Worten. „Aber ich tanze
nicht."
„Vielleicht hatten Sie bisher nicht das richtige Kleid, Ma-
dame. Darf ich sagen ... wenn ich Ihnen aus diesem Stoff ein
Kleid arbeiten würde, würden Sie ganz gewiss tanzen." Die
Französin drapierte eine Stoffbahn auf den Tisch und arbeitete
ein paar
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