Sarah Maclean
gewahrt."
„Eine Rolle, die Ralston bestimmt noch nicht oft übernom-
men hat", knurrte Benedick. „Ich sollte ihn zum Duell fordern."
„Es wäre mir lieber, du tätest es nicht. Ich kann ihn recht gut
leiden."
Er fing ihren Blick auf. „Du wirst doch nicht ... du kannst
doch nicht ..." Er beugte sich vor. „Was hat das zu bedeuten?"
Sie antwortete nicht, und Benedick probierte es noch einmal.
„Ralston ... er ist ... Callie, Frauen können den Marquess of
Ralston nicht einfach nur ,recht gut leiden'."
Beinahe unhörbar erwiderte sie: „Nein, wohl nicht."
Als er die Traurigkeit in der Stimme seiner Schwester be-
merkte, fluchte Benedick leise in sich hinein. „Ich habe gesehen,
wie er heute Abend mit dir getanzt hat. Ich weiß, wie sich das
angefühlt haben muss. Mir ist auch klar, dass er in dieser al-
bernen Schenke die Rolle des Beschützers gespielt hat - ich bin
weiß Gott froh, dass er dich dort gefunden hat, wer weiß, was
dir sonst dort zugestoßen wäre, aber du musst wissen, dass ...
Ralston ... Männer wie Ralston ..." Er unterbrach sich, da er
nicht wusste, wie er sich möglichst taktvoll ausdrücken sollte.
Callie erbarmte sich seiner und bot ihm einen Ausweg aus
diesem peinlichen Gespräch. „Ich weiß, Benedick. Ich bin doch
nicht dumm. Männer wie Ralston sind nicht für Frauen wie
mich bestimmt."
Vielleicht glaube ich es noch, wenn ich es nur oft genug wie-
derhole.
Sie rang sich ein leises Lachen ab, um die Stimmung aufzu-
heitern. „Ich könnte mir vorstellen, dass Ralston weitaus mehr
Abenteuer bedeuten würde, als ich ertragen könnte."
Er lächelte. „Nicht nur du. Denk auch an deinen armen, alten
Bruder."
Sie erwiderte das Lächeln, stand auf und drückte ihm einen
Kuss auf die Wange. „Danke für die Zigarre, Benny." Und damit
verließ sie den Raum und ging die große Marmortreppe hinauf
in ihr Zimmer.
Langsam und methodisch machte Callie sich zum Schlafen
zurecht, wollte sich dabei von Benedicks Worten nicht aufregen
lassen. Er hatte sicher recht. Sie passte nicht zu Ralston, hatte
nie zu ihm gepasst. Aber an diesem Abend war sie dem nahe-
gekommen. Und wenn sie nur einen einzigen Abend bekommen
konnte, dann musste dieser Abend eben ausreichen.
Sie ließ sich die Ereignisse noch einmal durch den Kopf ge-
hen, während sie ihre Frisur löste, Toilette machte und ihr bau-
schiges weißes Nachthemd anzog. Dann strich sie ihre zerknit-
terte Liste glatt und sah sie sich noch einmal an. Eine ganze
Weile saß sie so an ihrem Schreibtisch, reglos, las die Liste.
Seufzend nahm sie den Federkiel und zog einen dunklen Strich
durch Eine Zigarre rauchen und Whisky trinken.
Schließlich löschte sie die letzte Kerze und kroch ins Bett. Sie
träumte von der Frau in Raistons Kutsche - in Raistons Armen.
Ein paar Tage später traf Callie gegen Mittag in Ralston
House ein; sie wollten an diesem Nachmittag Kleider
einkaufen.
Wenn es etwas gab, was Callie verabscheute, dann war es der
Kleiderkauf.
Daher hatte sie sich Verstärkung in Gestalt von Mariana mit-
gebracht. Ihre Schwester zeichnete sich nicht nur durch eine
unnatürliche Vorliebe für die Bond Street aus, sie brannte auch
vor Neugierde auf Raistons geheimnisvolle jüngere Schwester.
„Ich war noch nie in Ralston House", flüsterte Mariana auf-
geregt, als sie sich der Tür näherten.
„Dort hattest du bisher auch nichts zu suchen", erwiderte
Callie streng. „Vor der Ankunft von Raistons Schwester war
dies ganz gewiss nicht der richtige Ort für junge, unverheiratete
Damen."
Auch nicht für alte, unverheiratete Damen, was diese jedoch
nicht davon abhielt, den Marquess zu besuchen.
Callie ignorierte die leise innere Stimme und stieg die Stufen
zum Eingang empor. Bevor sie noch oben ankam, wurde die Tür
aufgerissen, und Juliana schaute eifrig heraus. „Hallo!", sagte
sie, atemlos vor Aufregung.
Hinter ihr stand Jenkins und musterte sie mit wildem Blick;
er wirkte durch und durch entsetzt, dass die junge Frau nicht
abgewartet hatte, bis ein Lakai die Tür öffnete und die Ankunft
ihrer Gäste ankündigte. Sein Mund öffnete und schloss sich,
als wüsste er nicht, wie er auf diesen eklatanten Verstoß gegen
die Etikette reagieren sollte. Callie unterdrückte ein Lächeln,
da der Butler die komische Seite der Situation sicher nicht zu
würdigen wusste.
Mariana jedoch erfasste die Lage mit einem Blick und brach
in Gelächter aus. Entzückt klatschte sie in die
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