Sarah Maclean
Augenblicke, nestelte und raffte. Dann trat sie zurück
und ließ Callie einen Blick auf das Ergebnis werfen, das noch
kaum aussah wie ein Kleid. Aber es war herrlich.
„Wir werden einen tiefen Ausschnitt arbeiten, um Ihr De-
kollete zur Geltung zu bringen, und eine tiefe Taille. Sie verste-
cken sich hinter all diesen Rüschen und Volants - wie so viele
andere Engländerinnen." Das letzte Wort spuckte Madame He-
bert aus, als hätte es einen üblen Geschmack. „Sie brauchen ein
französisches Modell. Wir Franzosen wissen die Figur der Frau
zu würdigen!"
Bei diesen kühnen Worten errötete Callie, doch gleichzeitig
geriet sie in Versuchung. Schließlich sah sie die kleine Franzö-
sin an und sagte: „Also gut. Ja."
Mariana und Juliana stießen kleine Schreie des Entzückens
aus.
Madame Hebert nickte geschäftsmäßig. „Valerie", sagte sie
scharf zu ihrer Gehilfin, „nehmen Sie Lady Calpurnias Maße.
Sie bekommt den himmelblauen Satin. Sie braucht auch einen
Mantel."
„Oh, ich glaube nicht..."
Die Schneiderin sah Callie nicht an, sondern sprach einfach
weiter, als hätte diese nichts gesagt. „Den mitternachtsblauen
Satin. Wir füttern ihn mit Chinchilla. Und dann verschwindet
der himmelblaue Satin aus dem Regal. Der Stoff gehört allein
dieser Dame."
Bei diesen Worten kicherten die Mädchen im Salon. Callie sah
Mariana verwirrt an. Ihre Schwester flüsterte: „Madame Hebert
räumt den Stoff nur weg, wenn sie ein Kleid ganz allein ent-
wirft, ohne Hilfe ihrer Angestellten. Callie! Wie aufregend!"
Callie schluckte hörbar. Worauf hatte sie sich da nur einge-
lassen?
Madame Hebert wandte sich an Callie. „Drei Wochen."
Sie nickte. „Und Julianas?"
„Ebenso. Wir liefern, sobald wir fertig sind."
„Das goldene Abendkleid braucht sie schon am Mittwoch",
erklärte Mariana, „für die Oper."
Juliana, die gerade müßig über einen lavendelblauen Musse-
lin strich, aus dem sie ein Promenadenkleid bekommen sollte,
sah überrascht auf.
„Sie muss am Mittwoch in die Oper gehen, Callie", wieder-
holte Mariana und sagte dann zu Juliana: „Wir nehmen Sie na-
türlich mit."
Natürlich, Mariana hatte recht. Am Mittwoch öffnete das
Theatre Royal die Pforten, es war die perfekte Gelegenheit,
Juliana zum ersten Mal in die Gesellschaft auszuführen. Dort
konnte man sie so behutsam wie möglich vorstellen, sie brauch-
te nur vor und nach der Oper und in den Pausen mit dem ton
Umgang zu pflegen.
Callie nickte zustimmend. „Mittwoch ist natürlich genau der
richtige Tag."
Die Schneiderin hatte schweigend zugehört und sagte nun:
„Meine Damen, wir haben bereits Montag. Ich kann das Kleid
bis Mittwoch fertigstellen, aber das bedeutet, dass meine Mäd-
chen beide Nächte durcharbeiten müssen." Was sie damit sagen
wollte, war klar.
Callie lächelte. Ralston hatte ihr die Führung überlassen.
Und er hatte ja gesagt, dass Geld keine Rolle spielte. „Ihr Bru-
der ist der Marquess of Ralston. Bestimmt akzeptiert er den
Preisaufschlag."
Madame Hebert gab sich damit zufrieden und wies zwei Nä-
herinnen scharf an, sofort mit dem Kleid anzufangen.
Sobald sie den Salon verlassen hatten, veranstalteten die drei
in der Bond Street ein regelrechtes Einkaufsfest. Nach einem
Besuch bei der Putzmacherin bogen sie in ein kleines, enges
Gässchen, wo Juliana vor der Auslage einer Buchhandlung ste-
hen blieb. Sie drehte sich zu ihren Begleiterinnen um und sagte:
„Würde es Sie schrecklich stören, wenn wir kurz hineingehen
würden? Ich möchte meinen Brüdern gern etwas kaufen. Um
ihnen für ihre Freundlichkeit zu danken."
„Was für eine hervorragende Idee!" Callie, die ohnehin kei-
nem Buchladen aus dem Weg ging, stieß die Tür mit einem brei-
ten Lächeln auf und bedeutete Juliana voranzugehen.
Die Türglocke begrüßte die jungen Frauen im Laden und ver-
ständigte den Inhaber von ihrer Anwesenheit. Er nickte ihnen
höflich zu und widmete sich dann wieder seiner Arbeit. Callie
und Mariana stöberten die neuesten Romane durch, sodass Ju-
liana in Ruhe nach einem passenden Geschenk für ihre Brüder
suchen konnte.
Das junge Mädchen hatte nie darüber nachgedacht, wie
schwierig es sein könnte, für Ralston und St. John genau das
Richtige zu finden - etwas, was ihren Interessen entsprach und
gleichzeitig etwas ganz Besonderes war, weil es das erste Ge-
schenk ihrer neuen, unerwarteten Schwester war.
Nach einer Viertelstunde hatte Juliana einen
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