Sarah Maclean
großen Band mit
Stichen von Pompeji für Nick ausgesucht, in der Hoffnung, dass
es für den Liebhaber der Antike genau das richtige Geschenk
war.
Ralston jedoch erwies sich als Herausforderung. Sie wusste
so wenig von ihm, nur dass er nachts oft stundenlang an sei-
nem Pianoforte saß. Suchend strich Juliana über die Buchrü-
cken und fragte sich, was sie für ihren älteren Bruder aussu-
chen sollte. Schließlich hielt sie bei einem deutschen Werk über
Mozart inne und nahm es zögernd heraus.
„Wenn man nach einer Lebensbeschreibung Mozarts sucht,
ist man mit dieser hier bestens beraten. Niemetschek kannte
den Meister höchstpersönlich."
Juliana zuckte zusammen und drehte sich dann zu der Stim-
me um.
Nur wenige Zoll entfernt stand der schönste Mann, den sie je
gesehen hatte.
Er war hochgewachsen und breitschultrig, seine Augen hat-
ten die Farbe sonnenwarmen Honigs. Von draußen strömte
Nachmittagssonne in den Laden, spielte mit den blonden Lo-
cken und betonte die gerade Nase, das kräftige Kinn.
„Ich ..." Sie hielt inne und zermarterte sich den Kopf, wel-
che Verhaltensregeln in einer solchen Situation gelten mochten.
Was man tat, wenn einem ein Engel eine Musikerbiografie ans
Herz legte, hatten sie und Callie noch nicht besprochen. Sicher
wäre es nicht verkehrt, sich zu bedanken. Oder? „Danke."
„Gern geschehen. Ich hoffe, dass Ihnen die Lektüre Freude
bereitet."
„Oh, es ist nicht für mich. Es ist ein Geschenk. Für meinen
Bruder."
„Ah, dann hoffe ich, dass er die Lektüre genießen wird." Er
hielt inne, und sie sahen sich lange in die Augen.
Das Schweigen machte Juliana nervös, und so sagte sie
schließlich: „Tut mir leid, Sir, aber ich bin mir ziemlich sicher,
dass wir nicht miteinander reden dürfen."
Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln, und ihr wurde heiß.
„Nur ziemlich sicher?"
„Fast ganz. Ich bin neu in London und kenne die Regeln noch
nicht so gut, aber ich meine, mich zu erinnern, dass man einan-
der vorgestellt werden muss." Ihre blauen Augen blitzten.
„Das ist schade. Was, glauben Sie, wird wohl passieren, wenn
man uns erwischt? Wie wir am helllichten Tag in aller Öffent-
lichkeit über Bücher diskutieren?"
Sein entsetzter Ton entlockte ihr ein Lachen. „Man kann nie
wissen. Möglicherweise tut sich der Erdboden auf und ver-
schluckt uns angesichts unseres gefährlichen Benehmens."
„Also, in so große Gefahr möchte ich eine Dame keineswegs
bringen. Daher will ich mich verabschieden, in der Hoffnung,
dass wir uns eines Tages richtig vorgestellt werden."
Einen flüchtigen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken,
Callie oder Mariana zu rufen, damit diese sie vorstellten, aber
sie war sich ziemlich sicher, dass man so etwas nicht tat. Statt-
dessen blinzelte sie zu dem goldenen Mann auf. „Das hoffe ich
auch."
Da verneigte er sich tief und war im nächsten Augenblick
verschwunden. Das einzige Zeichen, das seine Anwesenheit
verriet, war das leise Klingeln der Türglocke über dem Laden-
eingang.
„Juliana?", fragte Callie aus der Nähe. „Haben Sie etwas ge-
funden?"
Mit einem Lächeln drehte sich Juliana zu ihr um. „Ja. Glau-
ben Sie wirklich, dass Gabriel sich über eine Mozartbiografie
freuen würde?"
Callie sah sich den Titel an. „Das halte ich für eine ausge-
zeichnete Wahl."
Erfreut holte Juliana tief Luft. „Sagen Sie, kennen Sie diesen
Mann?"
Mariana folgte Julianas Blick und entdeckte den großen,
goldblonden Mann, der sich raschen Schrittes vom Buchladen
entfernte. Sie krauste die Nase, sah wieder zu Juliana und frag-
te: „Warum?"
„Ach, aus keinem besonderen Grund", erwiderte Juliana aus-
weichend. „Er kam mir irgendwie ... bekannt vor."
Mariana schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass Sie ihn
kennen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich je dazu he-
rabließe, nach Italien zu fahren, ganz zu schweigen, sich mit
einem Italiener zu unterhalten."
„Mariana ...", sagte Callie warnend.
„Aber wer ist er?", drängte Juliana.
Callie winkte abschätzig und trat zu dem Tisch mit den Son-
derangeboten. „Der Duke of Leighton."
„Er ist ein Duke?", fragte Juliana überrascht.
„Ja", nickte Mariana und führte die junge Frau aus dem
Buchladen. „Und ein ganz schrecklicher. Er betrachtet jeden,
der gesellschaftlich unter ihm steht, als vollkommen indiskuta-
bel. Kaum jemand ist ihm ebenbürtig."
„Mariana! Musst du unbedingt in aller Öffentlichkeit
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