Sarah Maclean
Papiers
war. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, weil er sich erneut daran-
machte, den Zettel zu entfalten. „Bitte, Gabriel. Tu es nicht."
Ob es daran lag, dass sie seinen Vornamen verwendet hatte,
oder an ihrem bittenden Ton, wüsste er niemals zu sagen, doch
Ralston hielt in der Bewegung inne, sah sie an und fragte: „Was
ist es denn, Callie?"
Sie schüttelte den Kopf, wandte den Blick ab und stammelte:
„Nichts ... es ist albern ... es ist etwas Persönliches."
„Sag mir, was es ist, dann sehe ich es nicht an."
Rasch schaute sie ihn an. „Wenn ich es dir sage, brauchst du
es ja auch nicht mehr anzusehen", meinte sie mürrisch.
Er schwieg, drehte das zerknitterte Stück Papier immer wie-
der in der Hand. Verärgert seufzte sie auf. „Also schön. Es ist
eine Liste." Sie streckte die Hand aus, als erwartete sie, dass er
ihr nun die Liste zurückgab und die Sache damit erledigt wäre.
Er sah sie fragend an. „Was für eine Liste?"
„Eine private Liste", gab sie zurück und versuchte, ihrer
Stimme einen Klang damenhafter Verachtung zu verleihen, in
der Hoffnung, dass er sich dann schämen und diesen speziellen
Kampf verloren geben würde.
„Eine private Einkaufsliste? Eine Liste mit ungebührlichen
Büchern, die du gern lesen möchtest? Eine Liste mit Männern?"
Sie errötete bei der Vorstellung, und seine Augen weiteten sich.
„Lieber Himmel, Callie, ist es eine Liste mit Männern?"
Zornig stampfte sie mit dem Fuß auf. „Meine Güte, nein! Es
spielt überhaupt keine Rolle, was auf dieser Liste steht, Rals-
ton. Wichtig ist nur, dass sie mir gehört."
„Keine gute Antwort, Kaiserin", sagte er und begann den
Zettel aufzufalten.
„Warte!" Sie legte noch einmal die Hand auf seine. Die Vor-
stellung, er könnte ihre geheimsten Wünsche entdecken, war ihr
unerträglich. Ohne ihn anzusehen, sagte sie: „Wenn du es un-
bedingt wissen musst, es ist eine Liste mit... Dingen ... die ich
gern ausprobieren möchte."
„Wie bitte?"
„Eine Liste mit Dingen. Dinge, die Männer ohne Weiteres tun
können, die uns Frauen aber verwehrt bleiben, aus Sorge um
unseren kostbaren Ruf. Da jedoch den meisten Leuten mein
Ruf vollkommen egal ist, habe ich beschlossen, dass es keinen
Grund gibt, warum ich den Rest meines Lebens still sitzen und
mit den anderen alten Jungfern Stickbilder anfertigen sollte.
Ich habe genug davon, immer nur abzuwarten."
Er hob eine Augenbraue. „Du magst ja viel sein, Kaiserin,
aber als abwartend würde ich dich niemals bezeichnen."
Wie nett von ihm, das zu sagen.
Sie schluckte, schloss die Finger über dem Zettel.
Er beobachtete sie; betrachtete ihre ineinander verschlunge-
nen Hände. Natürlich war er neugierig geworden. „Auf dieser
Liste stehen also die Dinge, von denen Lady Calpurnia glaubt,
dass sie das Leben ausmachen."
Diese Bemerkung war ihr aus früheren Unterhaltungen ver-
traut. Vielleicht hätte sie zugestimmt, wenn er dies vor ihrem
Intermezzo im Übungsraum gesagt hätte. Doch diese kurzen,
kostbaren Augenblicke in Raistons Armen hatten alles verän-
dert. In seiner Umarmung war Callie wirklich lebendig gewor-
den. Sie hatte endlich das Leben erfahren dürfen, von dem sie
seit ihrer ersten Begegnung mit Ralston vor einem Jahrzehnt -
einem Jahrhundert - geträumt hatte. Im Vergleich dazu ver-
blasste der Whisky - selbst wenn er in einem Wirtshaus getrun-
ken worden war. Das konnte sie ihm natürlich nicht sagen.
„Die Liste gehört mir. Ich wäre dir dankbar, wenn du sie mir
ungeöffnet zurückgeben würdest. Unser Gespräch ist schon
peinlich genug, findest du nicht?"
Er reagierte nicht, sodass sie gezwungen war, ihm in die Au-
gen zu schauen. Anscheinend hatte er in ihrem Blick die Wahr-
heit erkannt, denn er gab seine Trophäe frei. Rasch legte sie den
Zettel neu zusammen und steckte ihn sich in die Jackentasche.
Er beobachtete sie und sagte dann: „Fechten steht dann wohl
auf dieser Liste?"
Sie nickte.
„Und Whisky?"
Wieder nickte sie.
„Was noch?"
Küssen. „Glücksspiel."
„Du lieber Himmel. Und?"
„Eine Zigarre."
Er schnaubte. „Na, das wird aber schwierig werden. Nicht
einmal ich würde dich eine Zigarre rauchen lassen. Und meine
Moralvorstellungen sind bestenfalls fragwürdig zu nennen."
Die hochnäsige Bemerkung verärgerte sie. „Diesen speziellen
Punkt konnte ich tatsächlich schon abhaken."
„Wie das? Wer hat dir denn eine Zigarre gegeben?"
„Benedick."
„Das ist ja richtig
Weitere Kostenlose Bücher