Sarah Maclean
ignorierte den Knoten in ihrer Brust, wollte nicht da-
rüber nachdenken, ob dies Gefühl Enttäuschung oder Erleich-
terung darüber war, dass dieser St. John heute Nachmittag bei
ihnen auftauchte. Stattdessen lächelte sie Nick freundlich zu
und meinte: „Ich glaube, wenn man Ihrer Schwester Gelegen-
heit dazu gäbe, würde sie Monsieur Latuffe mit Freuden die
Leviten lesen."
Schweigend sah Nick zu, wie Juliana und ihr Tanzlehrer laut-
stark diskutierten, ob eine junge Dame einem jungen Herrn zu-
lächeln dürfe - selbst wenn es ihr Bruder war -, während sie mit
einem anderen Gentleman Walzer tanzte. Zu Callie gewandt,
sagte Nick: „Also, ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich ihr da-
raus einen Vorwurf machen könnte."
Callie lachte. „Unter uns, ich bin ziemlich in Versuchung, ihr
freie Hand zu gewähren."
„Aus Rache an verflossenen Tanzmeistern?"
„Das auch ... hauptsächlich aber, weil ich den daraus resul-
tierenden Zirkus sicher genießen würde."
Nick hob eine Augenbraue. „Na so was, Lady Calpurnia, ich
muss gestehen, einen so boshaften Sinn für Humor hätte ich Ih-
nen gar nicht zugetraut."
„Nein! Nein! Non!" Die verbale Explosion auf der ande-
ren Seite des Raums unterbrach Nicks und Callies Geplän-
kel. Die beiden tauschten einen amüsierten Blick, während
der Tanzmeister schimpfte: „Der Herr führt die Dame. Ich bin
der Gentleman. Sie folgen mir! Sie sind nichts als ein Blatt im
Wind!"
Dieser Vergleich zog einen zornigen italienischen Wortschwall
nach sich. Callie verstand zwar nicht alles, doch der Sinn der
Tirade war unmissverständlich.
Nick warf Callie ein Grinsen zu. „Anscheinend finden Frauen
keinen Gefallen daran, wenn man sie mit Laub vergleicht."
„Italienerinnen jedenfalls nicht."
Diese Worte entlockten ihm ein Lachen, worauf das tanzen-
de Paar ihn mit wütenden Blicken durchbohrte. Nick räusperte
sich, wandte sich Callie zu, streckte die Hand aus und fragte:
„Wollen wir den beiden zeigen, wie man es richtig macht?"
Sprachlos sah Callie auf die dargebotene Hand. „Sir?"
„Aber, aber, Lady Calpurnia", flüsterte er neckend, „sagen Sie
bloß nicht, Sie hätten Angst, Monsieur Latuffe würde Ihre Fä-
higkeiten kritisieren."
Callie straffte in gespielter Empörung die Schultern. „Gewiss
nicht!"
„Na dann?"
Sie legte ihre Hand in die seine.
„Hervorragend."
Nick winkte dem Klavierspieler zu, einen weiteren Walzer
anzustimmen, nahm sie in die Arme, und dann begannen sie,
durch den sonnendurchfluteten Saal zu schweben. Während sie
sich neigten und drehten, reckte Callie den Hals, um Juliana
und Monsieur Latuffe im Auge zu behalten.
„Lady Calpurnia", sagte Nick schließlich, „wenn ich nicht
so selbstsicher wäre, würde mich Ihr mangelndes Interesse zu-
tiefst treffen."
Sofort richtete Callie die Aufmerksamkeit wieder auf Nick,
lachte dann aber, als sie das Zwinkern in seinen Augen sah.
„Verzeihen Sie, Mylord. Ich habe mich nur bereitgehalten, mich
ins Getümmel zu werfen, falls die beiden handgreiflich werden
sollten."
„Keine Sorge. Ich werde der Erste sein, der Latuffe zu Hilfe
eilt, falls meine Schwester von den Gefühlen übermannt wird,
mit denen sie so offensichtlich zu kämpfen hat." Er nickte zu
Juliana hinüber. Callie folgte seinem Blick und sah, dass seine
Schwester höchst verärgert wirkte.
„Es wäre doch schade, wenn Italien und Frankreich einen
Krieg vom Zaun brächen, gerade wo Napoleon besiegt worden
ist", meinte Callie ironisch.
Nick grinste. „Ich tue wirklich mein Bestes, den Frieden zu
erhalten."
„Hervorragend", sagte Callie in gespieltem Ernst. „Ist Ihnen
aber auch klar, dass Sie unter Umständen selbst den Tanzlehrer
geben müssen?"
Nick tat, als ließe er sich das durch den Kopf gehen. „Meinen
Sie, der Pianist käme zurück?"
Callie, die das Spiel genoss, legte den Kopf schief und be-
trachtete den drahtigen jungen Mann am Pianoforte. „Vermut-
lich nicht, Sir. Was für ein Glück, dass Ihr Bruder ebenfalls ein
Virtuose am Pianoforte ist."
Die Worte waren gesagt, bevor sie bedacht hatte, was sie ver-
rieten. Man musste Nick zugutehalten, dass er nicht ins Strau-
cheln geriet. Er bedachte sie nur mit einem neugierigen Blick
und fragte ruhig: „Woher wissen Sie denn, dass mein Bruder
Klavier spielt, Lady Calpurnia?"
Callie zögerte, suchte verzweifelt nach einem Ausweg. „Das...
das ist doch ... allgemein bekannt, oder nicht?" Sie bemühte
sich
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