Sarah Maclean
ihren Lehrern am wenigsten leiden, obwohl er
einer der besten Tanzmeister von ganz England war. Die bei-
den hatten sehr unterschiedliche Ansichten, was die Rolle des
Tanzens im Leben einer jungen Frau anging, und Callie hatte
den leisen Verdacht, dass es Juliana Spaß machte, ihn zu pie-
sacken.
„Bitte um Entschuldigung, Monsieur Latuffe", sagte Juliana,
und ihr Ton verriet, dass sie es keinesfalls ernst meinte. „Ich
wollte nur sichergehen, dass ich weiß, wo Sie sich herumtrei-
ben - damit ich Ihnen dabei nicht auf die Zehen trete."
Der Tanzmeister riss die Augen auf. „Miss Fiori! Junge Da-
men reden nicht darüber, dass sie auf Zehen treten könnten.
Wenn etwas so Entsetzliches passieren sollte, können Sie sicher
sein, dass Ihr Tanzpartner es nicht bemerken wird. Denn beim
Tanzen sollte eine Dame federleicht sein."
Julianas Lachen zeigte, dass sie davon keineswegs überzeugt
war, was Monsieur Latuffe wiederum zu einem lautstarken An-
fall veranlasste. Callie legte die Hand vor den Mund, um nicht
in amüsiertes Gelächter auszubrechen - wodurch sie ihren Sta-
tus als unbeteiligte Beobachterin gefährdet hätte.
Callie überwachte die Tanzstunde nun schon seit geraumer
Weile von einem Sofa am Rand des Ballsaals aus, in deren Ver-
lauf Juliana und Monsieur Latuffe diverse Kontretänze, eine
Quadrille und ein Menuett geübt hatten. Beide Parteien verlo-
ren allmählich die Geduld, und Callie fand es immer schwieri-
ger, angesichts der Zankereien ihre Belustigung zu verbergen.
Sie setzte eine - wie sie hoffte - neutrale Miene auf und drehte
sich zu Juliana und Monsieur Latuffe um.
Unter wildem Armgefuchtel stolzierte der Franzose auf das
Pianoforte zu. Dort saß der Klavierspieler, der für die nach-
mittägliche Tanzstunde engagiert worden war und der nun
ziemlich unsicher dreinsah. Monsieur Latuffe legte eine Hand
aufs Herz, die andere auf das Pianoforte, atmete mehrere
Male tief durch und murmelte aufgeregt auf Französisch in
sich hinein. Um Callies Mundwinkel zuckte es, während sie
leise Flüche über britische Inseln, italienische Frauenzimmer
und die Quadrille aufschnappte. Letzteres setzte sie in leises
Erstaunen - wenn er sogar den Glauben an den Tanz verlor,
musste Juliana sich als schlimme Heimsuchung herausgestellt
haben.
Callie ging zu Juliana hinüber und fing ihren Blick auf. Die
junge Frau rollte entnervt mit den Augen. Callie grinste und
flüsterte: „Nur noch zwanzig Minuten. Versuch doch, es zu er-
tragen."
Juliana antwortete mit zusammengebissenen Zähnen. „Dir
ist hoffentlich klar, dass ich das nur für dich mache."
Callie drückte der jungen Frau den Arm und sagte: „Dafür
werde ich dir bestimmt immer dankbar sein."
Juliana kicherte. Dann drehte sich der Tanzmeister um.
„Spielt alles keine Rolle", erklärte er entschieden. „Jetzt ma-
chen wir mit dem Walzer weiter. Den Walzer muss doch auch
eine junge Dame wie Sie respektieren."
Juliana riss die Augen auf. Sie sah zu Callie und flüsterte:
„Eine junge Dame wie ich?"
Nun musste Callie kichern, während der Franzose die über-
rumpelte Juliana in die Arme nahm und sie zu der mitreißen-
den Musik so energisch auf dem Tanzparkett herumschwenkte,
wie man es dem kleinen Mann gar nicht zugetraut hätte. Callie
schenkte dem offenkundig erleichterten Pianisten ein freundli-
ches Lächeln und sah zu, wie das Paar sich im Takt der Musik
wiegte und drehte. Während des Tanzes führte Monsieur La-
tuffe allerdings seinen Vortrag über die Gebote und Verbote der
Tanzetikette fort - in rascher Folge wurde Juliana dafür geta-
delt, dass ihr Griff zu fest sei, ihre Haltung zu steif und ihr Blick
zu wild. Callie hatte den Verdacht, dass der wilde Blick kein
Thema mehr sein würde, wenn die junge Frau erst einmal den
Armen ihres Tanzmeisters entronnen wäre.
Callie war machtlos gegen das breite Grinsen, das sich in ih-
rer Miene festgesetzt hatte, vor allem als Juliana ihrem Lehrer
direkt ins Auge sah und ihm dann in voller Absicht auf den Fuß
trat. Vermutlich ist damit auch die Theorie erledigt, wonach
eine junge Frau beim Tanzen federleicht sei.
„Liegt es an mir, oder sorgt meine Schwester tatsächlich
dafür, dass ihr Tanzmeister sich jeden Shilling sauer verdie-
nen muss?" Die Bemerkung, aus nächster Nähe gesprochen,
überraschte Callie, und sie fuhr herum. Dicht hinter ihr stand
Nicholas St. John, den Blick amüsiert auf seine Schwester ge-
richtet.
Callie
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