Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom
amüsiert an. » Das hat er. Ja, das hat er in der Tat, und auf jede Auszeichnung war er stolz. Die Wände seines Büros sind voller Urkunden, Anerkennungen, Medaillen. Das Foto der Familie passt in einen kleinen Rahmen. «
» Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Frau Erlenberg? «
» Nur zu, fragen Sie! «
» Warum erzählen Sie mir das so offen? Ich meine, Sie wissen doch, dass ich Journalistin bin, und Sie kennen mich nicht. Es könnte doch sein, dass ich das eins zu eins so aufschreibe und Sie es morgen im Wiener Boten lesen können. «
Romy Erlenberg beugte sich leicht nach vorne und sah Sarah offen an. » Sie wollten doch etwas Persönliches über meinen Vater hören. Sehen Sie, da haben Sie den Unterschied zwischen meinem Bruder und mir. Mir ist es egal, was die Leute über meinen Vater oder meine Familie denken. « Sie lehnte sich wieder zurück. » Vielleicht will ich ja auch nur meinen Bruder ärgern. Ich hab’s Ihnen schon gesagt, er wird unserem Vater immer ähnlicher und merkt es nicht mal. « Romy Erlenberg schüttelte den Kopf. » Ich gebe Ihnen noch einen kleinen Tipp, Frau Pauli. Wenn Sie etwas über einen viel beschäftigten Unternehmer in Erfahrung bringen wollen, dann fragen Sie seine Mitarbeiter. Am besten die Sekretärinnen. Die Bürodamen kennen ihre Chefs meistens besser als die eigene Ehefrau. « Sie zuckte mit den Achseln. » Kein Wunder. Die Sekretärinnen sehen sie nicht nur öfter, sondern managen ihnen meistens auch noch den Alltag, kaufen Geschenke für Geburtstage und Weihnachten, erinnern an berufliche und private Termine, sorgen für Alibis, wenn der Chef die Geliebte trifft. « Sie stellte ihre Kaffeetasse auf dem Tisch ab. » Es soll sogar vorkommen, dass eine Sekretärin mit ihrem Chef ins Bett steigt. «
» Und Ihre Mutter? «
Romy Erlenbergs Gesichtsausdruck wurde weich.
» Meine Mutter ist eine großartige Frau. Ihr haben wir es zu verdanken, dass wir nicht von Kindermädchen aufgezogen wurden. Sie hat für uns auf ihre Karriere verzichtet, und sie hat für uns die Einsamkeit, die die Ehe mit unserem Vater mit sich brachte, ertragen. «
» Bis zur Trennung. «
» Bis zur Trennung « , wiederholte Romy Erlenberg.
» Warum haben sich Ihre Eltern getrennt? «
» Das fragen Sie am besten meine Mutter. « Ihr Gesichtsausdruck änderte sich. » Halten Sie mich jetzt bitte nicht für unhöflich, aber die Arbeit ruft « , brach sie das Gespräch ab. » Sollten Sie über meinen Vater tatsächlich eine private Geschichte schreiben, dann vergessen Sie nicht zu erwähnen, dass seine Tochter eine Boutique in der Innenstadt betreibt. Wäre doch gelacht, wenn mein Vater mir nicht nach seinem Tod noch ein bisschen nützlich sein könnte. «
» Ich lasse Ihnen meine Telefonnummer da « , sagte Sarah und legte ihre Visitenkarte auf den Tisch. Romy Erlenberg griff danach und steckte sie in ihre Jackentasche. Dann stand sie auf, holte die Kataloge und wuchtete sie wieder auf den Schreibtisch. Der Kaffeetratsch war beendet.
Auf dem Heimweg dachte Sarah über ihre Begegnung nach. Auch wenn Romy Erlenberg nicht gut auf ihren Vater zu sprechen war und so manche Demütigung, Niederlage und Verletzung aus ihrer Kindheit mit sich herumschleppte, schien sie nicht unglücklich zu sein. Sie hatte sich arrangiert, und Sarah fand sie sympathisch. Und eines war auch klar. Die Geschichte der reichen vernachlässigten Tochter interessierte heutzutage niemanden. Ähnliche Verhältnisse gab es zur Genüge. Einzig, wenn sie von ihrem Vater misshandelt worden wäre, das interessierte die Leser. Aber das war hier offensichtlich nicht der Fall gewesen. Auf dem Weg zur Straßenbahn rief Sarah David an, um ihm zu sagen, dass sie heute mit Gabi einen Weiberabend machen wollte.
Bei der Oper nahm sie die Straßenbahn bis zum Dr.-Karl-Lueger-Ring und stieg noch einmal um Richtung Brunnengasse. Sie schlenderte über den Brunnenmarkt bis zu ihrer Wohnung am Yppenplatz, als wäre sie im Urlaub. Auch wenn es kalt war und der Markt im Sommer belebter als jetzt, Ende Oktober, genoss sie die quirlige bunte Atmosphäre hier. Am Yppenplatz kaufte sie im Staud’s ihre Lieblingsmarmeladen. Erdbeere, Himbeere und Aprikose.
13
PHILIPP BRAND
D as Wetter hatte sich seiner Stimmung angepasst. Es war noch grauer und trostloser geworden.
Als sich Philipp Brand auf den Weg zu seiner Mutter machte, peitschte der Wind den Regen gegen die Windschutzscheibe. Der Scheibenwischer lief auf Hochtouren, dennoch konnte er
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