Sartre
die den Anspruch erhebt, für alle Menschen oder zumindest für alle lesenden Menschen interessant zu sein, wird Sartres phänomenologischen Versuch als Anregung aufgreifen, das Begriffliche als die angestammte Domäne der Philosophie mit dem Erzählerischen zu verbinden. Auch wenn Sartre immer wieder der Vorwurf gemacht worden ist, dass seine Philosophie zu literarisch und seine Literatur zu philosophisch sei, scheint es mir eher zuzutreffen, dass vieles in seinen philosophischen Schriften ohne die literarischen Passagen nur inkonsistent und vieles in den literarischen Schriften ohne die philosophischen Erörterungen bloß dürftig wäre. Erst mit der gebührenden Berücksichtigung des Literarischen wie des Philosophischen erscheint Sartre als interessanter Autor.
Weniger überzeugend ist Sartre dagegen als [113] argumentierender Philosoph; hier treten die Schwächen vieler seiner Schriften offen zu Tage. Hinzu kommt eine existenzielle Überlastung des Tons, die die Dramatik der Jahre von Resistance und Kollaboration ausdrückt. Darüber hinaus ist eine Neigung zur Selbstgerechtigkeit festzustellen. Sartre sagt praktisch nie: Das verstehe ich nicht, hier muss ich mich zurückhalten (obwohl er immerhin nachträglich eigene Irrtümer einräumt). Er hat die Neigung, etwas Halbverstandenes (z. B. von Hegel) noch abstrakter zu referieren und ihm eine Aura des Tiefen zu geben, um es dann mit einem anderen Gedanken (oft eines weiteren Autors) zu »vermitteln« und so endgültig undeutlich zu machen. Klarheit ist also leider nicht seine Stärke.
Auch Sartres Auslegung der Rolle des Intellektuellen hat ihre Tücken. Gleichwohl bleibt sein Bestreben, das Nachdenken über den Gang der Welt in all ihren Facetten nicht den Experten zu überlassen, in der Tradition der Aufklärung bedeutend. So kritikwürdig Sartres Überheblichkeit und Selbstüberschätzung auch sein mögen, so gehört zum sartreschen Intellektuellen angesichts der Unübersichtlichkeit der Verhältnisse und der abnehmenden Verbindlichkeit von Werten doch Bekennermut. Um eine öffentliche Diskussion zukünftiger Trends ebenso wie eine Diagnose der Gegenwart zu ermöglichen, muss es Autoren und Denker geben, die den Mut haben, isolierte Einsichten zu verallgemeinern und Werte mit Nachdruck zu vertreten. Hierzu gehören Bereitschaft zum Zuhören und zweifelnde Nachdenklichkeit vielleicht in einem stärkeren Maße, als Sartre selbst sie aufzubringen vermochte. Der Intellektuelle sollte genauso individualistisch sein, wie es der frühe Sartre dem Menschen nahe legt; eine Indienstnahme beispielsweise durch Parteien widerspricht jedenfalls der Rolle des nachdenkenden Intellektuellen. Und wenn sich Sartre gerade in seinem politischen Urteil immer wieder verirrt, geschieht dies nicht weil, sondern obwohl er ein Philosoph der metaphysischen Freiheit ist. So lässt sich lernen, dass Reste der denkerischen Unfreiheit auch bei Verfechtern der Freiheit zu finden sind.
[114] Viele Themen der Philosophie Sartres sind nach wie vor aktuell: Freiheit und Faktizität, der Einzelne und der Andere, das Individuum und die Gemeinschaft markieren solche Themen, deren Bearbeitung Sartre vielleicht nicht wirklich argumentativ gelungen ist, die aber von seinen Beiträgen profitieren. Nicht nur einen Beitrag, sondern das Muster schlechthin liefert Sartre zum Thema der Authentizität, die von ihm in Leben und Werk gleichermaßen verkörpert wird. Dass die radikale Thematisierung aller Schwächen des Menschen eine viel tiefere Achtung vor dem Wert des Einzelnen ermöglicht als eine illusionäre oder gar verlogene Idealisierung, gehört zum Kern der Botschaft Sartres.
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Kommentierte Bibliografie
1. Primärliteratur
a) Gesammelte Werke in deutscher Übersetzung
Die Werke Sartres erscheinen auf Deutsch im Rowohlt Verlag. Dort liegen die
Gesammelten Werke
Jean-Paul Sartres in acht Taschenbuchkassetten vor (in Zusammenarbeit mit dem Autor und Arlette Elkaïm-Sartre hg. von Traugott König). Die mit Bandangaben versehenen Kassetten sind erschienen.
Kassette 1: Schriften zur Literatur (8 Bände)
Kassette 2: Romane und Erzählungen (4 Bände)
Kassette 3: Theaterstücke (9 Bände)
Kassette 4: Drehbücher
Kassette 5: Politische Schriften (4 Bände)
Kassette 6: Autobiographische Schriften. Briefe. Tagebücher (6 Bände)
Kassette 7: Philosophische Schriften (4 Bände; weitere Bände fehlen bisher)
Kassette 8: Schriften zur bildenden Kunst und Musik. Reisen.
In Einzelausgaben liegen
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