Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Sohn leise durchs offene Tor in den Vorhof treten. Er fuhr hoch und rieb sich die Augen. Der Junge war mit Blut bedeckt. »Mein lieber Sohn«, rief er, »bist du verletzt?« Petrus wandte sich um. Zur Überraschung des Vaters lag auf seinem Gesicht ein Ausdruck ruhiger Heiterkeit, den er nie vorher an ihm gesehen hatte. Er lächelte.
    »Nicht verletzt, Vater – gereinigt… Ich bin tauroboliatus, Vater. Ich gebe Sarum den alten Göttern zurück.« Bevor Constantius etwas sagen konnte, war sein Sohn verschwunden. Eine Zeitlang stand er wie benommen da. Petrus war also nicht nur ungehorsam, er war ein Heide!
    Sofort ging Constantius zum Gemach seiner Frau. Placidia schlief nicht. Im Schein der Lampe sah sie, daß Constantius sehr blaß, aber offenbar nüchtern war.
    Er blieb in der Tür stehen; seit langem war es ein ungeschriebenes Gesetz, daß er ihr Schlafzimmer nicht betrat.
    Als sie ihn so jammervoll dastehen sah, winkte sie ihn herein. »Was ist geschehen, Constantius?« fragte sie leise.
    Er machte eine verzweifelte Geste und berichtete von Petrus.
    »Das taurobolium!« schloß er unglücklich. »Ein monströser heidnischer Ritus.« Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Wußtest du, daß unser Sohn insgeheim ein Heide ist?«
    »Nein, das wußte ich nicht.«
    »Hast du es vermutet?«
    »Vielleicht.«
    Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Und du hast nichts gesagt?« Sie setzte sich langsam auf. »Ich habe es nur vermutet. Irgend etwas Geheimnisvolles ist um ihn. Und er ist Tarquinus sehr verbunden, das weißt du.«
    »Ich hätte den Viehhirten entlassen sollen«, stöhnte Constantius. »Dies hier ist ein christliches Haus. Zuerst die heidnischen Germanen und nun das.« Er sah Placidia verzweifelt an. »Was sollen wir nur tun?« Der arme Mann! Manchmal, wie gerade jetzt, liebte sie ihn noch. Wenn er nur ein bißchen klüger wäre! Was Petrus betraf, so nahm sie seine neue Begeisterung nicht sehr ernst. »Petrus ist impulsiv, aber er hat ein gutes Herz. Wir müssen Geduld haben.«
    Der Junge war im Grunde das einzige, was sie hatte, und so war sie vielleicht allzu nachsichtig mit ihm. Doch sie war viel zu sensibel, um seine Fehler nicht zu erkennen. Sie wußte sehr wohl, daß nur durch ihre Beständigkeit und Vernunft und durch die harte Arbeit von Numincus Haus und Anwesen zusammengehalten wurden. Petrus mit seinem ungezügelten Enthusiasmus war seinem Vater sehr ähnlich, und sie fürchtete insgeheim, daß er, falls er im Leben nichts erreichte und nicht die rechte Frau fand, die ihn leitete, genauso aus der Art schlagen würde wie sein Vater.
    »Dich scheint das nicht aufzuregen«, meinte Constantius bitter. »Vielleicht billigst du es sogar.«
    »Du weißt sehr gut, daß ich das nicht tue. Ich bin Christin.«
    »Du nimmst den Jungen wohl noch in Schutz.«
    »Wir müssen uns klug verhalten, Constantius. Petrus ist eigensinnig. Es gibt viele Heiden in Sarum – du weißt das. Nun, sogar Numincus…«
    Bei der Erwähnung dieses Namens erstarrte Constantius. Erst diesen Nachmittag hatte Numincus sich seinen Befehlen widersetzt. Er wußte genau, daß dieser Verwalter aufgrund seiner eigenen Nachlässigkeit die Besitzungen leitete, und er war eifersüchtig auf diesen tüchtigen Menschen, der mit seiner Frau offenbar alles besprach. »Numincus hat damit nichts zu tun«, brauste er auf, »aber am Morgen muß er sich vor mir zum christlichen Glauben bekennen. Wenn nicht, entlasse ich ihn.«
    Placidia zuckte die Achseln. »Das wäre töricht.«
    »Natürlich wäre das für dich ein harter Schlag«, antwortete er höchst verärgert. »Ich zweifle nicht daran, daß er dein Liebhaber ist.« Placidia schwieg einen Augenblick, bevor sie leise sagte: »Bitte, laß mich jetzt allein.«
    Constantius ging und schlug die Tür hinter sich zu. Placidia schloß die Augen und sah die Gestalt des Numincus vor sich: seinen großen Kopf mit dem schütteren Haar, seine rote spitze Nase, seine ernsten Augen und seine merkwürdig plumpen kleinen Hände. Sie wußte, daß der Verwalter ihr ganz ergeben war – doch ihr Liebhaber? Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
    Ein tiefgreifendes Ereignis fiel in die beiden nächsten Jahre: die Invasion der Sachsen.
    Die Sachsen kamen im Frühling, nicht, wie erwartet, gleich als riesige Horde, sondern als Vorhut. Dreißig Mann landeten in zwei Booten an der Küste des Solent-Deltas. Das Hauptkontingent wanderte auf Venta zu und plünderte die am Weg liegenden Höfe. Sie griffen jedoch

Weitere Kostenlose Bücher