Sarum
schienen. Jeder führte ein weiteres Pony mit Waffen und Gepäck mit sich. Dem Ältesten – Petrus schätzte ihn auf dreißig –, der ein wenig Latein sprach, hatte er die Verantwortung für seine Kameraden übertragen.
Als sie die Stadt eben hinter sich hatten, kam Petrus ein Gedanke. Er hielt an. »In Sorviodunum«, verkündete er, »müßt ihr daran denken, daß ich euer Anführer bin. Ihr habt niemandem außer mir zu gehorchen.« Er blickte sie ernst an. »Ich bezahle euch«, fügte er hinzu. Die sechs Krieger starrten ihn ausdruckslos an. Schließlich nickte der Älteste langsam; er hatte verstanden. Zufrieden winkte Petrus ihnen, ihm zu folgen. Die Sonne stand blutrot am kalten Morgenhimmel. Als sie über Venta aufging, traf sie die Ziegeldächer und die grauen Mauern. Da sprach Petrus Worte vor sich hin, die seinen Vater mehr überrascht und erschreckt hätten als alle Beschuldigungen während des Streites am Tag zuvor: »Helios, große Sonne«, murmelte er. »Jupiter-Apoll, Herr aller Götter, gib deinem Diener Kraft.« Petrus, Sohn eines christlichen Hauses, war insgeheim ein Heide.
Er war nicht der einzige Heide. In der gesamten römischen Welt gab es viele, die öffentlich oder heimlich dem Heidentum anhingen, obwohl seit einem Jahrhundert der aufkommende christliche Glaube zur Staatsreligion erklärt worden war.
Es gab zahlreiche Kultformen: Nicht nur die alten römischen Götter wurden verehrt, auch die der Kelten, Sachsen, Goten und all der anderen Völker des Imperiums. Da waren die weitverbreiteten Kultformen aus dem Osten mit ihren seltsamen Ritualen, ihren mystischen Erfahrungen und ekstatischen Zuständen, wie etwa der Kult der ägyptischen Göttin Isis. Wichtiger noch war die altüberlieferte Bindung an Mithras, den Stiergott. Dieser Gott verlangte Selbstdisziplin und Opfer – so hatte sich seine Religion in der Armee verbreitet. Seit der Regierung Konstantins war die Armee offiziell christlich, doch Petrus wußte genau, daß der treue Verwalter Numincus, selbst Sohn eines Zenturio, privat Mithras verehrte. Constantius Porteus übersah diese Tatsache stillschweigend. Es gab jedoch andere Kultformen in Sarum, von denen Constantius nichts ahnte. Petrus übte sie selbst aus.
In Lydney am Ufer des Severn, nur fünfzig Meilen westlich von Sarum, war ein großer Tempel für den Kriegsgott Nodens eine Generation zuvor wieder zugänglich gemacht worden. Constantius war empört, doch der Tempel wurde häufig aufgesucht, und man machte ihm große Schenkungen.
Als Petrus nun auf die Stadt zurückblickte, wo ein alter Heide ihn einst unterwiesen hatte, als er die Dächer, die Spitze der Säule zu Ehren des Mark Aurel, das dreieckige Giebelfeld des alten Tempels in der Sonne glänzen sah, rief er laut: »Ich werde Sorviodunum wiederaufbauen. Und dann gehört diese Stadt den Göttern.«
Sie erreichten Sorviodunum gegen Mittag. Petrus hatte beabsichtigt, die Germanen in der Siedlung im Tal kampieren zu lassen, wo noch ein halbes Dutzend Familien in einigen durch eine hölzerne Palisade geschützten Häuschen lebten. Er dachte, sie könnten den Ort entsprechend befestigen.
Doch als der Anführer der Germanen das sah, schüttelte er den Kopf. »Wir bleiben hier«, entschied er und deutete zur Düne auf dem Hügel. »Das ist der einzige Platz, den wir verteidigen können.« Petrus zuckte die Achseln: »Wie ihr meint.«
Die Düne lag seit Generationen nahezu verlassen. Wenn auch östlich vom Eingang ein paar Hütten standen, wurde die große kreisrunde Fläche innerhalb des hohen grasbewachsenen Erdwalls von Numincus seit einigen Jahren nur noch als Viehgehege benutzt. Es gab allerdings einen Bewohner dort, und als Petrus und sein Trupp anlangten, kam er langsam aus der Holzhütte, die er am Rand der Einfriedung bewohnte.
»Das ist Tarquinus, der Viehhirt«, erklärte Petrus. Tarquinus war sehr alt, sein Rücken gebeugt, das Gesicht runzelig wie eine Walnußschale; sein dünnes graues Haar hing in langen Strähnen über den Rücken hinab, doch seine listigen, nahe beieinander stehenden Augen, die ihn sofort als dem Clan des »Flußvolkes« zugehörig auswiesen, waren so leuchtend und scharf wie die eines jungen Mannes. Er war seit vielen Jahren verwitwet; gleich nach dem Tod seiner Frau hatte er seine Kinder verlassen und sich allein auf die Düne zurückgezogen, wo die Familie Porteus seine Anwesenheit tolerierte. Als Constantius in einem Anfall christlicher Pietät den kleinen Tempel der Göttin Sulis,
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