Sarum
Welt zu fern. Er hatte ein wachsendes Gefühl der Leere. »Du brauchst eine intelligente Frau zu deiner Gesellschaft«, meinte Placidia des öfteren.
Im Frühling des Jahres 432 konnte sie ihn endlich dazu überreden, Schritte in dieser Richtung zu unternehmen. Eine kürzlich verwitwete Verwandte hatte von ihrer heiratsfähigen Tochter geschrieben; das Mädchen sollte einen großen Besitz im Westen in der Nähe der Severn-Mündung erben, und obwohl es erst neunzehn Jahre zählte, leitete es diesen Besitz zusammen mit einem Verwalter. Petrus mußte seiner Mutter darin beipflichten, daß es töricht und außerdem beleidigend für die Verwandte wäre, das Mädchen namens Flavia nicht wenigstens einmal aufzusuchen.
Es gab etwas, das den Besuch für Petrus noch attraktiver machte. »Ich wollte immer schon das Heiligtum des Gottes Nodens auf der anderen Seite des Severn sehen«, meinte er. »Es soll wunderschön sein. Ich sehe es mir an und besuche dann das Mädchen.«
Nach allen Berichten, die Sarum erreichten, war es unwahrscheinlich, daß die Sachsen vor Mitte des Sommers einfallen würden, und so machte Petrus sich mit einem Ersatzpferd auf den Weg nach Westen, nachdem er sich von seinen Eltern verabschiedet und Sulicena einen solidus gegeben hatte. Sein Weg führte durch Aquae Sulis. Die Straßen waren gut, wenn auch teilweise von Unkraut überwuchert, und er erreichte Aquae Sulis früh am nächsten Tag. Es war ein trauriger Anblick. Die Stadt war zwar noch bewohnt, wirkte jedoch wie ein Schatten ihrer selbst. Der Ruin des einstigen Heilbades waren nicht Plünderer, sondern eine Veränderung des Wasserstandes im vorausgegangenen Jahrhundert gewesen, wodurch die zu den Bädern führenden Leitungen verschlammten. Im Lauf der Jahre wurden die Kosten für die Instandsetzung zu hoch. Der Kurort erfüllte seinen Zweck schon lange nicht mehr. Als er durch die verlassenen Straßen ritt und die stattlichen leeren Gebäude betrachtete, spürte er eine leise Melancholie in sich aufsteigen. Er ritt weiter, und am Nachmittag fand er den Ort Corinium in einem besseren Zustand vor. Die Wehranlagen waren so massiv wie in Venta, und als weitere Vorsichtsmaßnahme war das Amphitheater, die stolze Mitte der Stadt, als letzte Bastion befestigt worden.
Später gelangte Petrus an die breite Mündung des Severn und nahm die Fähre zum Westufer. Von dort ritt er nach Süden, zum Heiligtum. In der sinkenden Sonne lag das Ziel vor ihm. Das Heiligtum des Gottes Nodens, des Regenmachers, bot einen schönen Anblick: Mehrere Tempel, die Portiken mit ihren soliden Pfeilern, standen auf einem Felsvorsprung über dem Flußdelta. Leichter Rauch stieg von zwei Altären in den klaren Frühlingshimmel auf. Die Wälder ringsum verströmten einen angenehmen Duft, der Wind strich über die glitzernde Wasseroberfläche und rauschte in den Bäumen unterhalb der kleinen Akropolis. Da Nodens der traditionelle Schutzgott seiner Familie war, legte Petrus auf jeden der beiden Altäre einen der kostbaren goldenen solidi. Es war ein für ihn erfreulicher Besuch. Am Abend verbrachte er Stunden im Gespräch mit den Tempelpriestern – gebildeten, gelehrten Männern. In ihrer friedvollen kultivierten Gegenwart spürte er, wie sein Glaube an die heidnische Berufung sich erneuerte.
Er war froh darüber, denn nicht einmal sich selbst mochte er die kürzliche Unzufriedenheit mit der gewählten Religion eingestehen. Er hatte im vergangenen Jahr noch einmal das taurobolium gemacht, diesmal allein, und war enttäuscht worden. Die mystische, reinigende Erfahrung war ihm nicht zuteil geworden – er hatte nur das klebrige Blut und das gelegentliche Husten des Tarquinus über der Grube wahrgenommen. Ein weiterer Tag verging. Noch einmal schlief Petrus neben dem Heiligtum, und am folgenden Morgen ritt er erfrischt und ohne Hast zur Fähre zurück.
Der Besitz von Flavias Familie lag einen Tageritt entfernt südlich, in der Nähe der alten Bleiminen in den MendipHügeln, deren Erze in vergangenen Jahrhunderten die Straße durch Sorviodunum passiert hatten. Am Spätnachmittag war er eine Stunde von dem Landsitz entfernt, als er einen kleinen Hafen erreichte. Die Sonne stand noch ziemlich hoch, doch es wurde schon kühl. Aus einem Impuls heraus beschloß Petrus, die Nacht hier zu verbringen und erst am nächsten Morgen weiterzureiten.
Am Hafen standen ein halbes Dutzend Lagerhäuser neben einer Mole und mehrere Gebäude, darunter eine mansio für Durchreisende und zum
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