Sarum
Wichtigeres.
Der Überraschungsangriff der Dänen auf das Königreich Wessex traf die Sachsen völlig unvorbereitet. Nie zuvor hatten die Marodeure ihr Lager mitten im Winter abgebrochen. Aber in jenem Jahr, einige Wochen nach Weihnachten, verließ ein Teil des Heeres unter Führung des dänischen Königs Guthrum plötzlich das Lager im mercischen Gloucester und fiel mit blitzartiger Geschwindigkeit in Wessex ein, nahm die befestigte Siedlung Chippenham im Handstreich. Von dort fluteten riesige Plünderertrupps südwärts über die Anhöhen und durchs Avon-Tal. Keine Armee stellte sich ihnen entgegen. Das Anwesen des Thans in Avonsford wurde in aller Eile evakuiert. Der reitende Bote hatte den Befehl des Earldorman Wulfhere gebracht, daß der Than und seine Leute ihn sofort in der Düne von Searobyrg treffen sollten.
Hastig ließ Aelfwald seine Männer Vorräte und Wertgegenstände auf die Wagen laden und sorgte dafür, daß alles, was sie nicht mitnehmen konnten, gut versteckt wurde. Er schickte seine beiden Söhne zur Überwachung der Evakuierung. »Ist Port gewarnt worden?« fragte er.
»Das ist bereits geschehen«, rief der Bote. »Treibt eure Leute zur Eile an!« Er wendete sein Pferd und ritt zur Düne zurück. Innerhalb einer Stunde war die gesamte Siedlung unterwegs, die Leute ritten oder gingen neben den vier hochbepackten Wagen aus dem Gutshof und dem Dorf. Zwei weitere Karren folgten mit Rüstungen und Waffen.
Earldorman Wulfhere wartete mit einer Reitergruppe auf der Düne. Er blickte mißmutig, als er Aelfwald mit einem kurzen Nicken grüßte. »Ich habe nicht gesagt, daß Ihr Euer ganzes Dorf mitbringen sollt«, meinte er verdrießlich.
»Sollte ich sie den Wikingern überlassen?« fragte der Than. Er bekam nur ein Achselzucken zur Antwort. Weitere Trecks trafen aus nahe gelegenen Weilern ein.
Beide Männer blickten auf das alte Erdkastell, das die Düne schützen sollte.
»Hier können wir nicht kämpfen«, sagte der Earldorman kurz und bündig. »Es gibt kein Tor, und die Befestigungen sind schadhaft. Der König hat ohnehin einen allgemeinen Rückzug ins Mutterland westlich von Selwood befohlen.«
Aelfwald war entsetzt. »Wir überlassen also den gesamten Süden sich selbst? Auch Wilton?«
Wulfhere zuckte die Achseln. »Die Wikinger können jederzeit hier sein. Wir sind nicht darauf vorbereitet. Seht Euch das an!« Die Dorfbewohner, die nicht einmal Zeit gehabt hatten, sich entsprechend zu bewaffnen, und die verlassene, nicht fertiggestellte Festung gewährleisteten keinesfalls eine organisierte Verteidigung. »Sie werden in Wilton haltmachen und es plündern«, sagte der Earldorman gelassen. »Inzwischen können diese Leute hier fliehen.«
Aelfwald hatte den Eindruck, daß Wulfhere keine große Begeisterung für den Kampf aufbrachte, doch mußte er zugeben, daß der andere recht hatte.
»Bringt Eure Leute auf den Weg«, befahl Wulfhere barsch und wandte sich ab.
Als Aelfwald den ungeordneten Wagenzug mit den Habseligkeiten auf der morastigen Straße sah, verließ ihn der Mut. Wulfhere hatte gar nicht versucht, sie zu organisieren; bald, wenn andere zu ihnen stießen, würde es ein Chaos geben. Ein gebrochenes Rad hier, ein umgestürzter Karren dort – er sah voraus, wie sie ein paar Meilen weiter hilflos festhingen und die Wikinger über sie herfallen würden. Wenn sie es nur mit weniger Karren schaffen könnten, dachte er. Da hatte er eine Idee.
An der Westseite der Senke unterhalb von Searobyrg lagen zwei Weiler mit sächsischen Namen. In dem einen wohnte die Familie, die traditionsgemäß bei Festlichkeiten die Trompeten – die bemer – spielte, und deshalb hatte er den Namen Bemerton erhalten. Der andere am Fluß gehörte Aelfwald selbst. Dieser Ort wurde von der vielköpfigen Familie des Sklaven Tostig bewohnt, die seit undenklichen Zeiten die besten Fischer von Sarum hervorgebracht hatte; deshalb war der Weiler allgemein als Fisherton bekannt. Dort lagen neben den strohgedeckten Hütten am Ufer sechs schöne lange Boote.
»Sage Tostig, er soll alle seine Boote nach Wilton bringen«, befahl der Than. »Vielleicht können wir sie statt der Karren beladen.« Als er Wilton erreichte, zeigte es sich, daß seine Entscheidung weise gewesen war. In der kleinen Stadt herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Die Evakuierung ging ungeordnet vor sich, und die Hauptstraße war bereits durch Karren verstopft. Das schlimmste war, daß niemand daran gedacht hatte, die Wertsachen aus dem
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