Sarum
den Durchbruch schaffen und die kleine Familie retten.
Sie sah nicht, daß plötzlich ihr Bruder und seine Männer neben ihr auftauchten. Sie bemerkte nur, daß die Wikinger einen Augenblick zurückfielen; dann hörte sie irgendwo die Stimme ihres Bruders: »Schafft sie weg!« Als sie erneut auf die Wikinger losschlagen wollte, griff ihr jemand in die Zügel und riß ihr Pferd herum. Gleich darauf galoppierte sie im sicheren Geleit der Sachsen über die Anhöhe davon. Sie rief Aelfstan an ihrer Seite zu: »Ports Familie! Wir müssen sie holen.«
Doch ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Es ist zu spät. Wir haben es versucht.«
Nun, auf der eiligen Rückkehr zur Düne, spürte Aelfgifu, daß sie zitterte.
Zum Glück hatte sie – im Gegensatz zu ihrem Bruder, als er ihr zu Hilfe kam – in der Hitze des Gefechts etwas nicht bemerkt: Drei Wikinger hatten Ports Frau gepackt; zwei hielten sie fest, während der dritte mit einem geilen Grinsen seinen Gürtel öffnete. Er war groß und hatte ein pockennarbiges Gesicht, das Aelfstan sich einprägte. Nachdem auch die anderen beiden Ports Frau vergewaltigt hatten, töteten sie sie. Der Hirte, sein Sohn und die Sklaven wurden ebenfalls hingemordet. Nur die beiden Kinder von Port entkamen dem Massaker. Das älteste war sieben. Zwei Wikinger kamen mit Äxten auf sie zu, doch hielten sie auf einen Ruf von der Anhöhe inne.
Dort oben stand ein auffallend großer Mann. Er war älter als die übrigen Krieger und schritt nun den Abhang in achtunggebietender Haltung hinunter. Das Echo seiner barschen Stimme schallte aus der Runde zurück.
»Bairn-ni-kel!«
Die Krieger blickten verwirrt nach oben; das war ein Befehl, der lautete: Ihr dürft die bairns, die Kinder, nicht töten. Dabei war es durchaus üblich, bei einem Überfall auch Kinder umzubringen. Der schwergewichtige Wikinger ging auf die Kinder zu. Er blickte angewidert auf das Blutbad ringsum. Dann legte er seine große Hand auf den Kopf des älteren Kindes. Offensichtlich war er entschlossen, die Kinder zu retten. Er scheuchte die beiden Männer mit den Äxten fort. Da er als gefürchteter Krieger bekannt war, gehorchten sie widerwillig. Unter seinen aufmerksamen Augen plünderten die Wikinger, was ihnen unter die Hände kam, doch die Kinder blieben verschont. Als die Marodeure kurz darauf verschwanden, starrten die beiden Kleinen auf die Toten. Da sie nicht wußten, was sie tun sollten, kletterten sie in den Schafpferch und suchten Trost und Wärme zwischen den vertrauten wolligen Tierleibern.
Die Reise der Einwohner von Wilton dauerte fünf Tage. Wenn sie an Siedlungen wie etwa der Hügelstadt Shaftesbury vorbeikamen, schlossen sich ihnen weitere Flüchtlinge an, die den Wikingern ebenfalls entkommen wollten. Doch als die nächsten Tage kein weiterer Angriff erfolgte, sonderten sich einige Bauern vom Treck ab und suchten in Wäldern und Tälern Unterschlupf, weil sie dachten, sie seien dort ebenso sicher wie in einem befestigten Lager.
Die Leute des Thans aus Sarum aber blieben zusammen. Der Trupp umrundete das Südende des großen Waldes von Selwood, und allmählich veränderte sich die Landschaft. Es gab hier mehr Moore, und bald, das wußte Aelfwald, würden sie die fruchtbare rote Erde des südwestlichen Englands vor sich haben. Am fünften Tag kamen sie an der Stelle der alten Abtei von Glastonbury vorüber, wo sich, so sagten die Mönche, das Grab des legendären Kriegers Arthur befand, der in vorsächsischer Zeit gekämpft hatte. Bald darauf sandte Wulfhere Späher aus.
»Nach den Berichten hält sich der König irgendwo in der Nähe auf«, teilte er dem Than mit. Am nächsten Morgen trafen sie ihn.
Das Lager König Alfreds an einem Ort namens Athelney bestand aus bescheidenen, eilig errichteten Zelten, Hütten und Schilfunterständen auf einer Landparzelle, die auf einer Seite von einem Hügel, auf der anderen durch ein Moor geschützt war. Dieser Ort würde wahrscheinlich nicht angegriffen werden, aber es war unwirtlich und feucht hier. Täglich trafen neue Flüchtlinge ein, seit im Süden die Kunde umging, daß der König sich dort aufhielt. Es waren noch nicht genügend Leute für eine Streitmacht, doch alle fühlten sich dem belagerten König von Wessex verbunden.
Die Ankunft von Wulfhere, Aelfwald und den anderen Thanes bedeutete Verstärkung. Sie wurden sogleich zum Zelt des Königs geführt. Alfred von Wessex war eine unauffällige Erscheinung, mittelgroß und von zarter Gesundheit. In seiner Jugend
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