Sarum
Bäume zu.
Da hörten sie plötzlich ein tiefes Husten, gefolgt von einem leisen Ruf vom Fluß her. Die Wikinger waren dem Ton der Glocke bereits gefolgt. Rasch ging die kleine Gruppe weiter. Der Wald lag nahe vor ihnen. Nun ertönte ein Pfiff in unmittelbarer Nähe.
Aelfwine fluchte. Die Wikinger waren offenbar auch schon im Wald. Der erste Ruf kam aus dem Nebel vor ihnen. Sekunden später der nächste, diesmal von rechts. Wie war es möglich, überlegte Osric, daß sie so rasch vorwärts kamen? Die Mönche blickten zu Aelfwine hin, unschlüssig, was sie tun sollten.
»Ich kenne das Moor genau«, flüsterte Osric, »wir könnten uns dort verstecken.«
Aelfwine sah ihn ruhig und nachdenklich an. Er nickte. »Das ist eine Möglichkeit.«
Die Mönche traten leise den Rückweg an, gingen am Kloster vorbei auf den Hafen zu. Doch dreißig Meter weiter mußten sie schon wieder stehenbleiben. Wieder kamen Rufe vom Fluß her. Jetzt schüttelte Aelfwine den Kopf. »Das geht nicht«, sagte er, »folgt mir!« Er führte die eng aneinandergedrängte Gruppe zurück in die Kapelle und verschloß die Tür. »Betet!« befahl er.
Aelfwine hatte recht gehabt. Ein weiterer Fluchtversuch hatte keinen Sinn, die Plünderer hatten sich anscheinend schon in der ganzen Gegend verteilt. Es blieb nur die Hoffnung, daß sie das Kloster im Nebel verfehlten oder daß sie keine Lust hatten, danach zu suchen. Mit einem Aufseufzer sanken die Mönche in die Knie.
In der Kapelle herrschte Totenstille. Osric kniete abseits von den übrigen. Sein Herz schlug so laut, daß er meinte, die Wikinger müßten es hören.
Schließlich hatte er das Gefühl, es müßte eine lange Zeit verstrichen sein, und allmählich beruhigte sich sein Atem. Vielleicht waren ihre Gebete doch erhört worden.
»Mache uns unsichtbar, Herr«, betete er, »verstecke uns im Nebel.« Als die Stille anhielt und er glaubte, daß sie endlich in Sicherheit wären, blickte er zu Aelfwine hin, der mit geneigtem Haupt vor dem Altar kniete. »Ich vergebe ihm«, flüsterte Osric.
Da flog die Tür der Kapelle krachend auf. Die hereindrängenden Wikinger trugen große Metallhelme und leichte Kettenhemden; sie hatten Schilde und die in ganz Nordeuropa gefürchteten Eisenäxte. Sie machten kurzen Prozeß. Als die hilflosen Mönche sich erhoben, wurden sie mit einigen raschen Hieben niedergestreckt.
Aelfwine jedoch fiel nicht. Nicht umsonst war er der Sohn des Thans Aelfwald. Er nahm das schwere Holzkreuz vom Altar, stürzte auf die Eindringlinge zu und teilte nach links und rechts schwere Hiebe mit dem Kreuz aus. Er traf einen Wikinger am Auge, daß dieser vor Schmerz aufheulte. In grenzenloser Wut fielen sie über ihn her, schlugen das Kreuz in Stücke und drängten ihn zum Altar.
Einer rief etwas, das Osric nicht verstand, doch die anderen ließen ihn lachend gewähren.
Der Wikinger schlug nicht sofort zu. Er maß den jungen Mann vor sich gleichsam sorgfältig mit den Augen ab. Dann feixte er. Aelfwine, mit dem Rücken gegen den Altartisch, in einer Hand den Rest des Kreuzes, hielt seinem Blick ruhig stand. Da schwang der Wikinger seine Axt. Es war ein genau gezielter Schlag, der Aelfwines Brust aufriß, als ob ein Sack aufgeschlitzt würde. Der Körper stürzte zu Boden. Der Wikinger trat vor, schob mit der Axt Aelfwines Rippen nach links und rechts weg und faßte mit der Hand in den Brustkorb. Während der Mönch sich im Todeskampf wand, riß der Wikinger ihm nacheinander die beiden Lungenflügel heraus und warf sie sich über die Schultern, wo sie wie zwei gefaltete Flügel liegenblieben. Dann trat er zurück und begutachtete unter dem Beifall der übrigen sein Werk. Der Sterbende, den Mund weit aufgerissen und voller Blut, seine Brust eine grauenvoll zuckende Masse, bäumte sich auf und fiel nach vorn. Das war der berüchtigte Blutadler – eine bei den Wikingern beliebte Art, Feinde zu töten. Osric stand wie gelähmt. Er faßte das Entsetzliche nicht. Da wurden die Wikinger auf ihn aufmerksam.
Er ging langsam auf sie zu. Sie bewegten sich nicht. Er dachte, sie würden ihm vielleicht nichts tun, weil er noch ein Kind war. Als er in der Mitte der Kapelle stand, sah er, daß die Tür offen war und die Sonne durch den sich lichtenden Nebel brach. Er ging darauf zu. Ein Wikinger versetzte ihm wie zufällig einen Hieb mit der Axt.
Die Nachricht vom Tode Aelfwines und Osrics erreichte den Than erst nach längerer Zeit, denn am selben Tag geschah in Sarum etwas viel
Weitere Kostenlose Bücher