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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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solltest also lieber beten.«
    Die Beziehung zwischen den beiden Männern war unkompliziert. Als die Nachkommen Aelfwalds die Schlacht bei Hastings verloren hatten, waren sie auf fast allen Besitzungen enteignet worden. Das Landgut von Avonsford sprach man mit vielen anderen der großen Familie zu, deren gegenwärtiges Oberhaupt William von Sarisberie war, und sie wiederum hatten es den Godefroi-Rittern als erblichen Lehnsherren gegeben. Obwohl die Thanes und die kleineren Landbesitzer ihren Grund und Boden verloren hatten, nahm das einfache Volk – die halbfreien Leibeigenen wie Nicholas’ Familie – keinen wesentlichen Schaden. Sie hatten nur einen neuen Lehnsherrn, dem sie Dienste oder Abgaben leisten mußten. Die Familie Godefroi, harte Militärs, waren doch keine tyrannischen Herren.
    Untereinander sprachen sie normannisches Französisch, aber sie konnten sich bald im örtlichen englischen Dialekt verständlich machen und begegneten der Familie der Handwerker mit Achtung. Nicholas’ Vater hatte beim Bau des Hauses für den Normannen mitgewirkt, und als die handwerklichen Fähigkeiten des Sohnes offenkundig wurden, setzte Richard ihn beim Errichten der Kastellgebäude ein. Zum Ausgleich für die Dienstleistungen, die er seinem Herrn zu erbringen hatte, erhielt er eine bescheidene Rente. Diese Rente konnte Richard leicht aus seiner Besoldung im Kastell erübrigen. Seit der Eroberung war Nicholas’ Familie ein Spitzname geblieben, der mit ihrer Handfertigkeit zu tun hatte: Oft, wenn den Godefroi-Rittern der Nachname von Nicholas oder dessen Vater gerade nicht einfiel, riefen sie einfach: »Masoun!« Masoun war das normannische Wort für Steinmetz, und wenn auch die Bewohner von Avonsford ihn immer noch Nicholas nannten, riefen sie doch manchmal: »Nicholas – Masoun!« Der Steinmetz hatte ein persönliches Anliegen. Er sah auf seine kurzen Finger und überlegte, ob er davon sprechen sollte. »Ihr habt einen Halbfreien auf Eurem Anwesen«, sagte er schließlich, »Godric Body.« Godefroi kannte den Burschen gut – ein magerer unscheinbarer Junge von siebzehn Jahren. Er wußte, daß die Mutter des Jungen Nicholas’ Schwester gewesen und sein Vater ein Fischer gewesen war. Er war Vollwaise und hatte keine Verwandten, nur Nicholas und einen Vetter seines Vaters, ein Querulant.
    »Nun, was willst du?«
    Nicholas räusperte sich. Doch in diesem Augenblick wurde die Luft von einem Schrei zerrissen.
    Godric Body konnte sein Glück nicht fassen.
    Erstens hatte er am Abend vorher Fleisch zu essen bekommen; das gab es nicht oft, außer wenn er ein Kaninchen mit der Schlinge fing oder seinen bescheidenen Anteil von dem aussortierten Vieh abbekam, das im Hochsommer und zu Beginn des Winters verteilt wurde. Doch sein Onkel Nicholas und dessen Familie, wenn auch nur Halbfreie wie er und mit wenig Landbesitz, waren viel besser daran. Dank seiner Geschicklichkeit erhielt der Steinmetz oft den doppelten Tageslohn von einem Silberpenny, und seine Familie aß nicht nur selbst Fleisch, sie teilte es gelegentlich mit dem armen Verwandten.
    Godric Body hatte das schmale Gesicht, das blaß war und oft bedrückt wirkte, von seinem Vater, dem Fischer, geerbt; rötliche Haarbüschel sprossen wie Gras auf seinem Kopf. Seine Hände waren zart und paßten gar nicht zu der rauhen Arbeit, die ihm beschieden war. Das Ärgste aber war der Buckel, den er von Geburt an hatte – durch diese Verunstaltung stand sein Kopf unnatürlich weit vor. Seinen Eltern wäre es lieber gewesen, er wäre gestorben, denn seine Mutter fürchtete, er würde nie arbeiten können, und seinem Vater war der Anblick der verwachsenen Kreatur ein Greuel.
    Er arbeitete, wenn auch unter Schwierigkeiten, so doch mit erstaunlicher Ausdauer. Im Lauf der Jahre mußten selbst die Dorfbewohner widerwillig zugeben, daß der linkische Junge mit den auffallend sanften, verträumten Augen Holzfiguren mit einer Geschicklichkeit schnitzen konnte, die jeden anderen in Avonsford ausstach. Seine Eltern starben, als er dreizehn Jahre alt war, und seitdem führte er ein einsames Leben, verrichtete seine Arbeit auf dem Anwesen und dachte nur darüber nach, wie er sein Los verbessern könnte.
    Ein weiterer Glücksfall war, daß sein Onkel Nicholas sich bereit erklärt hatte, beim Lehnsherrn ein gutes Wort für ihn einzulegen. Er war voller Hoffnung, denn er wußte, daß Godefroi, den er nicht selbst anzusprechen wagte, den Steinmetzen schätzte.
    Es gab noch einen dritten glücklichen

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