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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Umstand: Vor seinen Augen war auf dem kleinen Marktplatz innerhalb des Kastellbereichs eine nicht alltägliche Szene in Gang gekommen, die besondere Unterhaltung versprach. Entschlossen bahnte sich Godric Body seinen Weg durch die Menge, um besser sehen zu können, und was er sah, entlockte ihm ein Grinsen.
    Zwei Frauen standen einander in der Mitte des Platzes gegenüber. Die größere war außer sich vor Wut. Sie war von kräftiger Statur. Das rote Wollgewand paßte farblich zu ihrer Erregung. Trotz ihrer Fettpolster machte sie einen gefährlichen Eindruck. Ihre schweren Wangen, normalerweise so rot wie ihr Kleid, waren nun aufgedunsen, und ihre Augen waren zu Schlitzen verengt. Godric kannte sie wohl: Es war Herleva, die Frau seines Vetters William atte Brigge.
    »Dirne! Diebin!« schrie die gewaltige Person; dann zischte sie mit wutverzerrtem Gesicht: »Sklavin!«
    Der Gegenstand dieser Beschimpfungen war eine blonde hübsche Frau Mitte Zwanzig, deren leichte Drallheit ihre Anziehungskraft, deren sie sich absolut bewußt war, noch erhöhte. Sie trug ein hellblaues hemdartiges Gewand mit einem Gürtel. Verächtlich warf sie den Kopf hin und her. Godric kannte auch sie. Es war die Frau eines sächsischen Bauern, John von Shockley.
    Sie war eine Sklavin gewesen, eine Leibeigene, die, wie er, einem normannischen Herrn gehört hatte, bis sie den Freien Shockley heiratete. Doch für die Anschuldigungen hatte sie nur ein Lächeln und rief spöttisch: »Ein Jahr und ein Tag!«
    Die Menge lachte. Es war bekannt, daß William atte Brigge als Junge vom Gutshof von Avonsford weggelaufen war und ein Jahr und einen Tag in dem Städtchen Twyneham an der Küste gelebt hatte. Ein Leibeigener, der für diese Zeitspanne in eine Stadt floh, erhielt seine Freiheit, falls sein Herr es versäumte, ihn zurückzufordern. Er wurde Gerber – ein nicht sonderlich geachtetes Gewerbe wegen des ätzenden Geruchs, den das Gerben verbreitete – und zog nach Wilton, wo er wegen seines unverträglichen Naturells und seines Berufs unbeliebt war und wo er den Zunamen »atte Brigge« erhielt, weil sein Häuschen an einer kleinen Holzbrücke lag, die über einen toten Flußarm führte.
    »Aber dein Mann ist nur deshalb ein Freier«, fügte die Jüngere laut hinzu, »weil kein Godefroi ihn je zurückhaben wollte.« Die Menge stimmte lauthals zu. Es hieß immer, daß die Leute auf dem Gut froh gewesen seien, den Störenfried los zu sein. Für Herleva war das zuviel. Mit einem Wutschrei stürzte sie sich auf die junge Frau, riß ihr in Sekundenschnelle das Kleid von der Schulter, stieß sie zu Boden und warf sich über sie. Dies war der Schrei, den der Normanne und der Steinmetz auf dem Festungswall gehört hatten.
    Gegen Herlevas Gewicht konnte die junge Frau wenig ausrichten. Die andere zog sie am Haar, schlug ihr unentwegt ins Gesicht. Doch sie verteidigte sich mutig, nutzte ihre größere Wendigkeit aus und stieß heftig nach der Älteren, zerkratzte ihr das geschwollene Gesicht, das stark zu bluten begann. Die Zuschauer griffen nicht ein. Der Anlaß zu dem Streit zwischen den beiden Frauen lag weit zurück. Als die Nachkommen Aelfwalds ihre Besitzungen bei der Eroberung verloren hatten, fiel der Hof in Shockley im Tal des Wylye an die Äbtissin von Wilton. Ihr tat die Familie jedoch leid, und sie gestattete ihnen, als Lehnsleute auf dem Hof zu bleiben. Bald darauf gab es Meinungsverschiedenheiten, als die Tochter der Familie, die einen Bürger von Wilton geheiratet hatte, behauptete, das Lehen sei ihr und nicht ihrem Bruder versprochen worden. Im Gerichtsverfahren entschied die Äbtissin gegen sie und bestätigte den Bruder als Lehnsmann.
    Der Bürger und seine Frau versuchten erfolglos, die Angelegenheit vor ein höheres Gericht zu bringen, und als der Untersuchungsausschuß des Domesday-Books, des großen Grundkatasters, das Gebiet inspizierte, stellten die Beamten fest, daß das Lehnsrecht umstritten war. Die Jahre vergingen, doch der Bürger und seine Frau hegten weiterhin einen tiefen Groll, genau wie ihre Tochter Herleva. Als sie William atte Brigge heiratete, machte der störrische, habgierige Mensch den Fall zu seinem eigenen und schwor der Familie des John von Shockley mehr als einmal: »Und wenn ich zum König selber gehen muß! Bevor ich sterbe, wirst du hier verschwunden sein, das verspreche ich dir.«
    Immer wenn William oder Herleva einem von der ShockleyFamilie begegneten, ließen sie keine Gelegenheit zu einer Beleidigung

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