Sarum
jedoch keineswegs aus seinen Schwierigkeiten heraus.
Es gab noch viele Schlachten zu schlagen, und vieles mußte mit den Wikingern auf der Insel ins reine gebracht werden. Es gab auch persönliche Enttäuschungen für den König, zum Beispiel als der Earldorman Wulfhere bald nach der Schlacht von Edington unerwartet zu den Wikingern ins Danelaw überwechselte.
Doch nie mehr war das Königreich Wessex in Gefahr, völlig ausgelöscht zu werden. Die Burgen wurden befestigt, neue Klöster und Schulen wurden errichtet, das Nonnenkloster in Wilton, in dem Edith lebte, wurde prächtiger als zuvor wiederaufgebaut, und trotz der Feldzüge fand König Alfred Zeit, die von ihm geschätzten klassischen Texte – wie etwa die Schrift des Boetius, Trost der Philosophie – in die angelsächsische Sprache zu übersetzen, wie er es sich gewünscht hatte.
Während seiner letzten Regierungsjahre und unter seinen Nachfolgern breiteten sich allmählich der Einfluß und die Gesetzgebung von Wessex im Danelaw aus. Die skandinavischen Marodeure wurden größtenteils seßhaft und ließen sich sogar zum Christentum bekehren.
Der Prozeß, durch den die Angelsachsen und die Dänen nach und nach zu einem einzigen Inselreich verschmolzen, setzte sich ständig fort.
Wenn auch vor der normannischen Eroberung die Insel für eine kurze Zeitspanne als Teil einer größeren skandinavischen Konföderation von dem großen König Knut regiert wurde, gab es keinen Zweifel mehr, daß das Königreich England ein geeintes Ganzes war und es von nun an ein Volk der Engländer gab.
D AS K ASTELL
1139 n. Chr.
Die beiden Männer standen Seite an Seite auf der Ringmauer des Kastells von Sarisberie. Es war eine Woche nach Ostern, und das Wetter war angenehm warm.
Der größere von beiden trug einen feinen, schwarzen, mit Seide eingefaßten und von einer Goldkette über der Brust zusammengehaltenen Wollmantel. Sein braunes, an den Schläfen ergrautes Haar war ungewöhnlich frisiert: lang und beidseitig gescheitelt, die Locken vorn in die Stirn gebürstet. Der Bart war kraus. In seinem schmalen Gesicht mit der Adlernase verliefen zwei tiefe Linien fast von den Augen weg bis in die Winkel des schmallippigen Mundes, die sich gelegentlich mit dem Ausdruck zynischen Vergnügens nach unten zogen.
Es war Richard de Godefroi, ein einfacher normannischer Ritter. Er sah auf den stämmigen Nicholas nieder, der in seinem Lederwams neben ihm stand, und er konnte eine gewisse Besorgnis nicht verbergen. Der Steinmetz hatte ihm soeben in seiner englischen Muttersprache eine Frage gestellt, die der Französisch sprechende Ritter zwar genau verstand, die er jedoch nicht beantworten wollte.
»Warum bestückt der Bischof das Kastell mit Waffen?« Unter ihnen lag die unbefestigte Stadt Wilton, wo in Friedenszeiten der Sheriff, ein Beamter der Krone, sein Grafschaftsgericht abhielt; weiter nördlich im Tal, in dem drei Generationen der Familie des Normannen heimisch geworden waren, lag der englische Besitz des Ritters, Avonsford, den er von dem Großgrundbesitzer in Wiltshire, William von Sarisberie, zu Lehen hatte.
»Vielleicht will er das Kastell gegen den König halten«, meinte der Steinmetz.
Genau das befürchtete Richard.
Das Kastell thronte über der Stelle, wo die fünf Flüsse zusammentrafen. Es war höher und abschreckender als alle bisherigen Festungen in Sarum.
In dem weiten Kreidekreis der ehemaligen Düne auf ihrer windgepeitschten Felsnase erhob sich jetzt ein hoher, fast vollendeter Außenwall aus Feuerstein. Außerhalb und unterhalb davon lagen willkürlich angeordnete Häuser und Parzellen. Im Zentrum der Düne war ein zweiter Hügel von den normannischen Eroberern aufgeschüttet worden, der eine Ausdehnung von einem Morgen im Quadrat hatte; dieser war von einem zweiten finsteren Wall umgeben. In dieser zentralen Einfriedung hatten sie einen hohen grauen Turm errichtet.
Dies war die typische normannische Festung aus Hügel und Einfriedung, Baumgruppe und Ringmauer. Als Wilhelm der Bastard – später der Eroberer genannt – aus der Normandie mit den ihm folgenden Normannen, Bretonen und sonstigen Abenteurern im Jahre 1066 das angelsächsische Königreich eroberte, hatte er eilends im ganzen Land Kastelle errichten lassen. Anders als die bescheiden befestigten sächsischen Burgen waren die normannischen Kastelle groß, massiv und nahezu uneinnehmbar. Zuerst wurden sie aus Holz errichtet, nach und nach wurden in der Regierungszeit seiner beiden Söhne und
Weitere Kostenlose Bücher