Sarum
»Und dort?« Er zeigte aufs Kastell.
»Dort hält sich der Bischof von Ely zusammen mit Matilda von Ramsbury auf.«
Matilda war die auffallend dunkle Mätresse des Bischofs Roger und Mutter des Kanzlers.
Die beiden Brüder im Zelt waren, von einigen Rittern umgeben, in ein Gespräch vertieft. William blickte bei Godefrois Eintritt überrascht auf und warf ihm einen mißtrauischen Blick zu. Doch dann überlegte er offenbar, daß der Ritter von Avonsford höchstwahrscheinlich nicht mit den anderen Gruppen sympathisierte, und streckte ihm die Hand hin. Er war wie sein Bruder groß und mager, hatte ein schmales, feines Gesicht, das allerdings durch eine unförmige, leicht gekrümmte Nase verunstaltet wurde.
»Wir haben nicht nach Euch geschickt, Richard, aber wir freuen uns, daß Ihr gekommen seid«, sagte er leichthin. »Wißt Ihr schon das Neueste?« Godefroi nickte. William nahm eine vertrauliche Haltung ein. »Es sieht so aus, als würde der König dieses Scharmützel gewinnen, wenn er nicht lockerläßt«, flüsterte er.
Godefroi sah den König mehrmals an diesem Tag. Stephan ging meistens barhäuptig, in Begleitung einiger Magnaten, durch das Lager. Er wirkte gelöst. Sein General, William von Ypres, hatte seine Männer vor den Kastelltoren postiert und war auf eine regelrechte Belagerung eingerichtet. Doch an jenem Nachmittag, als Godefroi eintraf, lief ein Bote aus dem Zelt des Königs und eilte auf die Stadt zu. Selbst William von Sarisberie war von der Botschaft des Königs überrascht. »Es heißt, daß er den Kanzler vor den Toren hängen lassen wird, wenn sie sich nicht ergeben«, erläuterte er Godefroi. Wenn der König allerdings gedacht hatte, dadurch eine Entscheidung herbeizuführen, hatte er den Bischof von Ely unterschätzt. »Er sagt, der König könne hängen oder aushungern, wen immer er wolle«, berichtete der Junker Godefroi vor Williams Zelt. Und William bestätigte das sogleich: »Der König spielt sich nur auf«, bemerkte er kühl. »Wir werden ja sehen.«
Am nächsten Morgen brachten sie den untersetzten, kahl werdenden Kanzler aus seinem Zelt. Seine Hände waren gebunden, und eine Schlinge lag um seinen Hals. Sie setzten ihn auf ein Pferd und führten ihn hinauf an die Mauern des Kastells, ehe sie ihn ins Lager zurückbrachten. Immer noch kam keine Antwort von drinnen. Nachmittags versuchten sie eine neue Taktik: Sie schickten Bischof Roger, damit er mit den Aufständischen verhandle.
Godefroi beobachtete ihn, während sechs bewaffnete Krieger ihn vorbeiführten; selbst unter Bewachung und nach mehreren Hungertagen bot er einen furchteinflößenden Anblick. Das Fasten hatte seinem massiven Bauch nichts anhaben können, und sein schweres Kinn wackelte beim Gehen. Es war immer noch die Aura bedrohlicher Macht um ihn. Die Zusammenkunft vor der Stadt zwischen Bischof Roger und seinem Neffen war ein Fehlschlag. Roger mit seinem Blick für die Realität sah sofort ein, daß es besser wäre, das Kastell zu übergeben und des arglosen Königs Gunst zurückzugewinnen. Der Widerstand konnte seine Position nur schwächen und seinen Sohn das Leben kosten. Doch Nigel von Ely kümmerte der Tod seines Vetters oder der Hungertod seines Onkels wenig. So kehrte Roger ins Kastell zurück.
Am nächsten Tag ging der Machtkampf weiter. William von Sarisberie wurde allmählich ungeduldig. »Wenn der König den Kanzler hängen will – warum tut er es nicht endlich?« fragte er gereizt. Es war der Mangel an Skrupellosigkeit, der aus Stephan einen so mittelmäßigen Regenten machte. Wenn der König seine Drohung nicht wahr machte, würde nie Ordnung im Königreich herrschen, das sah selbst ein so einfacher Ritter wie Godefroi. Ein weiterer Tag verging.
Da gewann Stephan unerwartet sein Spiel. Ein Bote kam aus der Stadt und garantierte die Übergabe, wenn Bischof Roger und sein Sohn freigelassen würden. Nach wenigen Minuten waren die Bedingungen vereinbart, und der König schritt strahlend durch das Lager. Doch die Magnaten waren weniger beeindruckt.
»Der Bote kam gar nicht vom Bischof von Ely«, erklärte William. »Matilda von Ramsbury hat ihn geschickt. Sie kann es nicht ertragen, ihren Sohn hängen zu sehen.« Er verzog sein Gesicht angeekelt. »Der König hat Glück gehabt, aber wenn die Kaiserin einmarschiert, wird er sie nicht so leicht abschrecken können.«
Vorläufig jedoch war Stephan zufrieden. Er war im Besitz der Kastelle von Devizes, Malmesbury, Sherborne und Sarisberie – und nicht nur
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