Sarum
weiter. Es war eine Kuh, die sich irgendwie von der Herde abgesondert hatte.
Die Tatsache, daß es sich um eine Kuh handelte, machte die Angelegenheit nicht weniger gefährlich. Auf die erste Attacke von Seiten der Jäger konnte das Tier mit tödlicher Kraft reagieren. Doch wenn man es zur Strecke bringen könnte – welch ein Preis!
Die Sonne sank schnell, und der Auerochse machte keine Anstalten zu verschwinden. Er würde wahrscheinlich die Nacht über dableiben und am nächsten Tag zu seiner Herde zurückkehren. Hwll merkte sich die Stelle genau, ging zu den Jungen, und sie machten sich auf den Heimweg.
»Wir brauchen Unterstützung«, sagte Hwll, »aber woher?« Nach einer Weile meinte Teps Sohn: »Ich kann meinen Vater holen. Er zielt immer noch gut.«
Hwll war hin und her gerissen. Einerseits hatte er keine Lust, wieder mit Tep zu jagen, andererseits wollte er den Auerochsen unbedingt haben. Mit Tep waren sie zu viert. Aber konnte Tep mit dem einen Auge wirklich noch sicher zielen?
»Sage ihm, daß wir uns vor der Morgendämmerung am Fluß treffen«, meinte er schließlich. »Wir bekommen den Auerochsen.« Es war schon fast dunkel, als er den Hügel zum Lager hinaufschritt, und an seinem Schritt erkannte Akun seine Erregung. Wie er sich ans Feuer hockte, sah sie, daß seine Augen leuchteten. Dann erzählte er ihr mit dramatischen Gebärden von dem Tier.
»Tep ist bereit«, verkündete er, »er bringt seinen älteren Sohn mit, und wir jagen in der Morgendämmerung.« Ein Mann, ein Krüppel und zwei Jungen. Akun bekam Angst. Ihr jüngstes Kind war noch ein Baby, und sie konnte es sich nicht leisten, ihren Mann an einen Auerochsen zu verlieren.
»Geh in die anderen Lager«, sagte sie. »Hole alle Jäger zusammen.« Hwll schüttelte den Kopf. »Keine Zeit. Am frühen Morgen ist er weg. Der Auerochse ist groß, aber er ist langsam. Wir können ihn waidwund schießen, ihn verfolgen, bis er geschwächt ist.«
Das war die Jagdmethode der Tundra, und niemand beherrschte sie besser als Hwll. Wenn sie jedoch nur einen einzigen Fehler machten, konnte das Tier sie töten. Akun sah ihn verzweifelt an. Sie kannte aber seine Hartnäckigkeit, die sie von der Tundra nach Sarum geführt hatte, und so schüttelte sie nur den Kopf.
Die kleine Schar machte sich vor Morgengrauen auf den Weg. Tep und sein Sohn trugen jeder einen Bogen und zwei Speere, Otter ebenso. Hwll hatte Speere und eine schwere Axt aus einem breiten Feuerstein dabei, den er in seinem Steinbruch gefunden hatte. Der Stein war an einem Eichenstiel befestigt.
Mit den Pfeilen wollten sie das Tier schwächen, doch die Speere mit ihren tödlichen Spitzen aus gewetztem Feuerstein würden das dicke Fell durchbohren und sich tief im Fleisch festhaken. Da es die Technik der Jäger war, den Auerochsen waidwund zu schießen, mußte der erste Speer tief hinter der Schulter eindringen, damit das Tier langsamer wurde, und dann mußte der Speer weiter zum Herzen vordringen. Nach dem ersten Angriff wollten die Jäger ihn schonungslos verfolgen, ihn so weit ermüden, daß sie ihn schließlich zur Strecke bringen konnten.
Dann wollte Hwll ihm die Kehle durchschneiden. Es war eine wirksame Methode, doch die erste Attacke mußte sitzen; wenn es ihnen nicht gelang, das Tier waidwund zu schießen, würde es entweder schnell das Weite suchen oder sie angreifen und erledigen. Als die Vögel in der Morgendämmerung zaghaft ihren frühen Chor anstimmten, gingen die vier mit unterdrückter Erregung am Flußufer entlang.
Im ersten grauen Licht erreichten sie die Stelle, wo sie den Auerochsen am Tag zuvor gesichtet hatten. Als das Licht den Horizont färbte, konnten sie an der Flußkrümmung in einer Entfernung von etwa einer Meile einen dunklen Umriß erkennen. Hwlls Hand spannte sich um den Griff seiner Axt. »Da ist er«, flüsterte er.
Es wurde kein Wort gewechselt. Ein leichter Wind strich von Süden her flußaufwärts. Die vier Jäger schwärmten aus und hielten sich im Windschatten der Bäume oder des Schilfrohrs auf der Lichtung. Die Sonne stieg über den Hügelkamm, brach durch die grauen Wolken. Der Auerochse graste weiter, und die Jäger hielten sich im Hintergrund.
Die erste Attacke erfolgte ganz plötzlich. Wie auf Kommando standen alle vier Jäger auf und schleuderten gleichzeitig ihre Speere. Sie kamen von drei Seiten und griffen aus etwa zehn Metern Entfernung an – eine fachgerechte Pirsch. Hwll beobachtete, wie das Tier seinen Kopf heftig zurückschwang und ein
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