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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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es tat ihm nicht leid, daß das Abkommen auf diese Weise ungültig wurde. Einige Zeit hatte er einen Jungen aus dem östlichen Jägerlager für Vata im Auge gehabt, der das letztemal mit seinem Vater zur Eberjagd gekommen war – einen fröhlichen, lebhaften Burschen, wie sein eigener Sohn einer war.
    Tep erwiderte nichts darauf. Zum zweitenmal hatte man ihn aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen, und er wußte, daß nun die Aussichten, für seinen Sohn eine Frau zu finden, schlecht waren. Er hatte jedoch noch etwas im Sinn.
    »Wenn der Wisent wiederkommt«, begann er, »könnten meine Söhne…«
    Seit ihrer Ankunft hier war der Höhepunkt jedes Jahres die Zeit im späten Frühjahr gewesen, wenn er und Hwll, meist von Jägern aus anderen Lagern begleitet, auf der Suche nach dem Wisent über das Plateau zogen, wo dieser um die Jahreszeit kurz aus dem Nordwesten auftauchte. Es war ein aufregendes, gefährliches Unternehmen. Sie verfolgten die schwerfälligen Tiere oft tagelang.
    Diese Art des Jagens war der Jagd in der Tundra nicht unähnlich, doch Tep hatte sich auch darin hervorgetan, und sein Sohn versprach ebenso erfolgreich zu werden. Diese Jagd konnte ein einzelner nicht durchführen, und Tep wollte unbedingt vermeiden, daß er und seine Söhne für immer davon ausgeschlossen wurden. Hwll überlegte. Er wußte, wie hart seine Entscheidung den kleinen Jäger traf, aber er wollte ihn nicht in seinem Gebiet behalten.
    »Alle zwei Jahre kannst du hier einen Monat lang lagern«, meinte er schließlich. »Deine Söhne können jagen, wenn ich nach ihnen schicke. Aber du darfst unser Lager nicht betreten, und wenn du Akun noch einmal anrührst, wirst du von mir und den anderen Jägern getötet.« Die beiden Männer trennten sich. Akun war böse, daß er Tep nicht getötet hatte, aber sie mußte seine kluge Entscheidung akzeptieren.
    Zwei Jahre nach diesem Vorfall erschienen Tep und seine Familie wieder und schlugen ihr Lager dort auf, wo sie vorher gelebt hatten. Seine beiden Söhne, einer fast schon ein junger Mann, der andere noch ein Kind, erhielten von Hwll die Erlaubnis, die übrigen Jäger zu begleiten, wenn sie die Spur des Wisents verfolgten. Sie sollten ihren Anteil an der Beute erhalten. Tep blieb in seinem Lager und ließ sich nicht blicken. Die Familie war sich ihrer Schande bewußt und verschwand unauffällig zur festgesetzten Zeit.
    Zwei Jahre später löste sich das Problem der geächteten Familie auf unerwartete Weise.
    Sie waren zeitig im Frühjahr wiedergekommen, bevor die anderen Jäger sich versammelt hatten, und hatten wie üblich ihr Lager errichtet. Es war noch kein Wisent aufgetaucht, doch Hwll war auf dem Plateau eifrig auf Fährtensuche.
    Am Spätnachmittag – die Sonne stand schon tief hinter der gegenüberliegenden Hügelkette – blieb Hwll plötzlich stehen. Dann flüsterte er ein einziges Wort: »Auerochse.« Von allen Tieren auf der britannischen Insel jener Zeit war der Auerochse das gefährlichste und von den Jägern am meisten geschätzte. Es war der Ehrgeiz eines jeden Jägers, einen zu erlegen, doch Auerochsen waren so selten, daß es schon Glück bedeutete, einen gesichtet zu haben. Hwll hatte erst einmal einen Auerochsen gesehen, und zwar als Junge in der Tundra. Der Auerochse war der König unter den Tieren. Er ähnelte einem schwarzen Bullen, war jedoch etwa doppelt so groß, mit einer Schulterhöhe von über einem Meter achtzig. Vom Maul zum Schwanz maß er drei Meter und wog viele Tonnen. Trotz seiner Plumpheit war er im Angriff kaum zu bremsen. Die Auerochsen zogen gewöhnlich in kleinen Herden von zwölf oder weniger Tieren, gefürchtet von allen übrigen Tieren – denn neben einem dieser Mastodonten wirkte selbst ein ausgewachsener Wisent unscheinbar.
    Die Auerochsen waren bereits im Aussterben. In prähistorischer Zeit existierten kleine Herden überall in Europa, aber diese Tiere waren zu groß und zu wild, um vom Menschen gezähmt zu werden, andererseits zu unbeholfen, um den Jägern zu entkommen. So nahm ihre Zahl im Lauf der Jahrhunderte ständig ab, bis sie schließlich ausgelöscht waren. Hwll bedeutete den beiden Jungen zu bleiben, wo sie waren, und schlich sich vorsichtig näher.
    Der Auerochse war allein und hatte ihn noch nicht gewittert. Im Schutz der Bäume kroch Hwll weiter. Einmal – das Herz blieb ihm fast stehen – hob das Tier den Kopf und starrte in seine Richtung. Hwll war wie versteinert, doch dann senkte das Tier die gigantischen Hörner und graste

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