Sarum
Gebrüll ausstieß, das durchs Tal schallte.
Im gleichen Augenblick wußte er, daß der Angriff fehlgeschlagen war. Sein eigener Speer hatte gut getroffen, war hinter der Schulter, allerdings nicht sehr tief, eingedrungen. Otters Speer hatte die Kehle getroffen, aber nicht viel Schaden angerichtet. Tep und sein Sohn hatten ihr Ziel völlig verfehlt. Das war das Schlimmste, was hatte passieren können: Das Tier raste und war dabei nicht ernstlich verletzt. Wutschnaubend drehte sich der Auerochse um die eigene Achse, stampfte mit den riesigen Hufen und suchte nach seinen Angreifern. Da sah er Tep, der im spärlichen Schutz des Schilfrohrs über die Lichtung kam. Der Auerochse senkte seinen gewaltigen Kopf und ging zum Angriff über. Der listige kleine Jäger mit den langen Zehen hatte keine Chance. Er sah dem Tod ruhig entgegen, das kleine Gesicht dem auf ihn zurasenden Koloß einfach zugewandt. Im letzten Augenblick warf Tep sich zur Seite, aber er wußte, daß es zwecklos war. Die großen Hörner erfaßten ihn. Hwll sah, wie der kleine Körper in einem Blutschwall zerrissen wurde.
Der Auerochse warf ihn hoch in die Luft und donnerte auf die Bäume zu. Gleich darauf hörten sie das große Tier im Wald umherrennen und die Speere, die in seinem Körper steckten, an den Bäumen abstreifen. Die Jäger machten keinen Versuch, ihn zu verfolgen. Tep war tot – ein trauriger Haufen Fleisch und Blut, kaum noch erkennbar. Sie trugen ihn ins Lager zurück und begruben ihn am Abend auf der Anhöhe unter einem kleinen Steinhügel.
Teps Tod warf ein neues Problem auf, das rasch gelöst werden mußte. Ulla konnte noch Kinder gebären, und ihre Familie hatte außer dem älteren Sohn, der auch noch sehr jung war, keinen Beschützer. Aber es stand kein Mann in der Gegend zur Verfügung. Man konnte sie nicht allein in ihr Lager zurückschicken.
Zwei Tage nach Teps Tod ging Akun selbst den Hügel hinunter zum Lager am Fluß und holte die Familie in ihr eigenes Lager. Hier, vierzig Schritt entfernt auf dem Kamm, wurde eine neue Unterkunft errichtet, die aus zwei Teilen bestand: einem für Ulla und einem für die Kinder. Ulla sagte nichts. Man wußte nicht, ob der Verlust ihres Beschützers sie erschreckte oder ob sie froh war, der ewigen Tyrannei durch Tep nun entgangen zu sein. Auf alle Fälle war ihr neuer Status einfach; sie und die Kinder standen unter Hwlls Schutz. Akun beobachtete die junge Frau genau, während sie ihr neues Zuhause errichteten. Sie war ein dünnes, nichtssagendes Geschöpf, daran gewöhnt, von Tep als Arbeitstier behandelt zu werden. Zumindest hatte sie überlebt.
Akun erklärte Ulla die Sache kurz und bündig. »Hwll ist jetzt dein Mann, und wir beide sind seine Frauen. Aber ich bin die Ältere, und deshalb wirst du mir gehorchen.«
Ulla sagte nichts, nickte jedoch ergeben. Jahrelang hatte sie gelernt, sich unterzuordnen.
Als die beiden Frauen Ullas neues Heim einrichteten, war der Jäger allein unterwegs. Nach mehreren Tagen kehrte er zurück, sprach nicht über seine Abwesenheit, sondern bewegte sich still durchs Lager, und sein Gesicht zeigte einen neuen zufriedenen Ausdruck. Er war in diesen Tagen im Tal nach Westen gewandert. Einige Meilen entfernt hatte er schon öfters einen ungewöhnlichen Abhang über dem Fluß bemerkt: Dort lag anstelle der üblichen Kreide ein langer Streifen von glattem grauem Fels bloß, wundervoll beschaffen und gefärbt, ganz anders als alles in diesem Gebiet. Er war oft daran vorbeigegangen und hatte den seltsamen grauen Schimmer gesehen, den der Stein zurückwarf, wenn die Sonne ihn traf. Eine merkwürdige neue Idee bildete sich in seinem Kopf.
Er untersuchte die Felsoberfläche, hob Steinbrocken auf, legte sie wieder beiseite, bis er schließlich mit einem zufriedenen Grunzen das fand, wonach er gesucht hatte. Es war ein etwa faustgroßer Brocken, oval geformt und angenehm in der Hand. Der Stein war nicht hart, und Hwll hockte sich neben eine Eiche und begann ihn mit einem Feuerstein zu bearbeiten. Er wusch ihn mehrmals in einem Bach, und am Ende des zweiten Tages begann er mit dem Polieren. Am dritten Tag war das Werk vollendet; er steckte den Stein in einen Beutel und ging zurück ins Lager.
Es war eine erstaunliche Figur, die er so sorgfältig gehauen hatte. Sie glich einem kauernden weiblichen Torso mit Kopf. Das Gesicht war durch einen vorstehenden Streifen für die Nase und drei kleine Löcher für Augen und Mund angedeutet. Es war eine sehr einfache Arbeit, und
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