Sarum
bescheidener Wollhändler. Da die Wollpreise stabil waren und der Handel blühte, konnte er kleine Gewinne auf dem aufstrebenden Markt machen. Außerdem hatten seine Frau und ihre Schwester eine Lehnshütte auf dem Godefroi-Besitz geerbt; daher besaß er dreißig Schafe, die er oberhalb des Avon weiden ließ. Um das bescheidene Einkommen der Familie weiter aufzustocken, stellte seine Schwägerin auf einem Webstuhl Tuch minderer Qualität her, das er mit eigenem Profit zu ermäßigtem Preis auf den örtlichen Märkten verkaufte.
Williams Familie hatte den wohlhabenden Bauern auf Shockley nie vergeben.
»Die Shockleys sind Diebe«, erzählte William seinen Kindern. Und nun hatten die Shockleys auch noch ein Haus in der neuen Stadt, die den Ruin von Wilton bedeutete.
Am Morgen war William über die Fisherton Bridge direkt auf den Marktplatz der neuen Bischofsstadt gekommen. Dort hatte er seinen Karren bei einem Händler aus Wilton stehenlassen, der eine Marktbude hatte, und war zum Südende der Siedlung gegangen. Als er nun zum Marktplatz zurückkehrte, standen etwa ein Dutzend Leute, teils neugierig, teils offen grinsend neben seinem Karren. Der Mann aus Wilton sah verdrossen drein. Inmitten der Gruppe stand ruhig und gewichtig eine Gestalt, die William fürchtete: Alan Le Portier, der Aulnager. Es war der Tuchprüfer. Seine Tochter Alicia stand unmittelbar hinter ihm.
Der Aulnager deutete auf den Karren: »Dein Tuch?« Die Aulnage war ein halbes Jahrhundert früher von König Richard eingeführt worden. Es war nichts anderes als eine Tuchprüfung anhand einer Liste von Standardmaßen, die beachtet werden mußten. Alan Le Portier hatte sich einen etwas abweichenden Familiennamen zugelegt, aber wie auch sein Bruder, der Kanonikus Portehors, war er ein schlanker, äußerst penibler Mann.
Als der große Longspee, ein Edelmann, ihn für den Posten des Aulnagers vorschlug, versicherte er den königlichen Beamten lachend: »Ihr könnt ganz beruhigt sein, er ist so wie die übrige Familie. Wenn es sein muß, zählt er jeden einzelnen Faden im Tuch.« Beim Näherkommen sah William den Aulnager, dann seine Tochter an. Alan, stärker ergraut als sein Bruder, hatte ein schmales, feines, ernstes Gesicht und dunkle Augen. Die Tochter Alicia, ein hübsches Mädchen von sechzehn Jahren, blickte ihn mit ihren haselnußbraunen Augen neugierig an. Sie begleitete ihren Vater, den sie bewunderte, oft auf den Markt und kannte seine Methoden. Der Aulnager wiederholte die Frage: »Dein Tuch?« William nickte.
»Sechs Millimeter zu schmal.«
Wer hätte gedacht, daß Alan das bemerken würde? Dadurch, daß er seine Kunden um diese Winzigkeit in der Breite bemogelte, machte er selbst bei seinen Niedrigpreisen einen bescheidenen Gewinn. Er hätte den Karren nicht in Reichweite der durchdringenden Augen Le Portiers lassen sollen.
»Du bekommst natürlich eine Strafe«, bemerkte der Aulnager sachlich. »Nimm lieber alles wieder mit nach Wilton. Hier kannst du es nicht verkaufen.«
William ließ den Kopf hängen. Es hätte schlimmer kommen können. Der Aulnager hätte die Ware beschlagnahmen können. Trotzdem ließ sich das Tuch jetzt nur noch schwer absetzen. Es steckten zwei Monate Arbeit darin. Wortlos nahm er die langen Griffe des Karrens und zog ihn weg.
Dabei hörte er Le Portier zu seiner Tochter sagen: »Du mußt auf diese Familie achten.« Im stillen verwünschte William sie alle.
Das für den jungen Osmund so interessante Zusammentreffen fand an jenem Morgen am Ufer des Avon, eine halbe Meile südlich des Dorfes Avonsford, statt.
Zwei herrliche Pferde und ein Wagen standen neben dem Weg oberhalb des Flusses. In geringer Entfernung unterhielten sich zwei Männer und ein Junge leise miteinander; unterhalb von ihnen ging am Flußufer eine Gestalt in einem langen schwarzen Umhang mit einer Kappe tief in Gedanken auf und ab. Die anderen drei sahen von Zeit zu Zeit gespannt zu ihm hinunter.
Jocelin de Godefroi, Edward Shockley und sein achtzehnjähriger Sohn Peter erwarteten die Entscheidung dieses Mannes. »Wenn er unserer Bitte heute morgen zustimmt«, hatte Edward zu seinem Sohn gesagt, »ist damit unser Glück gemacht.« Die Familie war zu bescheidenem Wohlstand gelangt. Sie hatte den Hof von Shockley behalten, und Shockley war nun ihr Familienname. Als junger Mann hatte Edward auch ein Haus in der neuen Stadt gekauft und dort ein kleines, doch gewinnbringendes Geschäft aufgezogen; er stellte drei große Webstühle auf und
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