Sarum
Swithuns in Winchester und dem nahe gelegenen Amesbury und natürlich auch der Bischof von Salisbury – sie alle hielten private Hundertschaftsgerichte in der Grafschaft.
Sie bezahlten dem König zwar Pacht für diese Privilegien, doch der Gewinn gehörte ihnen. Der Besitz, der für einen Magnaten in der sich ändernden Welt am meisten abwarf, war eine Stadt auf seiner Domäne. Das Recht an einer Stadt hatte beträchtlichen Wert. Im Jahr des Herrn 1218 erhielt Bischof Poore, der jüngere von zwei reichen und mächtigen Brüdern, der Bischof von Sarum wurde, vom Papst und von dem Kindkönig Heinrich III. die Erlaubnis, die Kathedrale an einer anderen schöneren Stelle in dem tiefer gelegenen Wiesengrund neu zu errichten. Er bekam natürlich auch die Genehmigung, daneben eine neue Stadt zu gründen. Die neue Stadt des Bischofs lag in der sanften Krümmung des Avon, der von Norden kam und sie von Westen und Süden gleichzeitig umarmte. Diese Stadt hatte zwei Kerne: zum einen die Kathedrale mit ihrer nächsten Umgebung, der »Domfreiheit« – ein ausgedehntes offenes Gelände, auf dem die Kathedrale sich, umgeben von den Häusern der Geistlichen, erheben sollte; der andere Kern war die daneben liegende Marktstadt mit ihrem exakten Straßenraster und einem großen Marktplatz in der Mitte.
Die beiden Kerne hatten unterschiedliche Funktionen, der eine die geistliche und der andere die kommerzielle. Kirche und Priester einerseits und Markt und Händler andererseits gehörten dem Bischof mit allem Drum und Dran, denn die Stadt fiel unter Feudalprivilegien, und durch die Charta von 1227 war der Bischof von Salisbury als unbestrittener Lehnsfürst ausgewiesen.
Es war ein heißer Julitag. Die kleine Kolonne arbeitete ziemlich lustlos vor sich hin.
So erging es auch einem pummeligen dreizehnjährigen Jungen mit einem viel zu großen Kopf, mit kleinen, rundlichen Händen und ernsten grauen Augen, der, obwohl er bei der Arbeit von einem strengen Kanonikus beaufsichtigt wurde, immer wieder erwartungsvoll die Straße entlangblickte: Im Tal nördlich der Stadt trafen sich soeben, ohne Wissen des Kanonikus, ein paar Männer, darunter Godefroi und Shockley, und sie hatten dem Jungen angedeutet, daß sich ihm bald eine Möglichkeit bieten könnte, aus seiner augenblicklichen Plackerei herauszukommen, falls ihre Zusammenkunft erfolgreich verlaufen würde. Das gab ihm Hoffnung bei der zermürbenden, verhaßten Arbeit. Er wünschte sich so sehr, daß sein Leben sich änderte. Der Kanonikus Stephen Portehors musterte ihn kühl. Keiner war in Sarum so unbedeutend, so unwichtig wie der junge Osmund – Osmund, der Steinhauer.
Osmund wußte das – der Kanonikus Stephen hatte es ihm schon gesagt. »In den Augen Gottes bist du, Osmund, so winzig wie ein Staubkorn«, erklärte ihm der Priester, »doch bedenke, er sieht alles, was du tust, denn nicht einmal ein Staubkorn kann sich vor dem himmlischen Vater verbergen. All deine Sünden sind ihm bekannt.«
Nun drohte der Kanonikus mit dem Finger, und Osmund wußte, warum: Er hatte gesündigt. Er hatte den Eindruck, daß, wohin er auch blickte, alles voller Staub sei: Er selbst war mit Staub bedeckt. Der gestrenge Kanoniker hatte ebenfalls eine Staubschicht auf den Schultern. Der Staub reizte die Atemwege, irritierte ihn. Und doch war ihm klar, daß er dankbar sein mußte.
»Unsere Stadt ist auf Fels gebaut«, erklärte der Kanonikus. »Unsere Fundamente sind sicher.«
Das stimmte: Obwohl das umgebende Terrain zum großen Teil sumpfig war, hatte der kluge Bischof in Myrifield festen Grund gewählt. »Du siehst«, hatte Kanonikus Stephen dem jungen Osmund tags zuvor auseinandergesetzt, »obwohl diese Stelle tief liegt, stößt man beim Graben auf eine dicke Kiesschicht.« Als Osmund in den Graben neben sich blickte, fand er diese Aussage bestätigt. »Der Kies ist fest – er hält auch die größte Kathedrale aus. Sei dankbar, daß du in einer Zeit geboren wurdest, wo du das Entstehen großer Werke zur Ehre Gottes miterleben darfst.«
In diesem Augenblick war der Priester ungehalten. Sein schütteres Haar war grau, doch seine buschigen Brauen waren fast schwarz, und an ihren Enden bogen sie sich nach oben wie die Ohrbüschel einer Eule. Seine durchdringenden Augen waren tiefbraun. Die Stimme empfand Osmund als hart und schneidend wie Feuerstein. »Nenne mir die sieben Hauptsünden, Osmund.« Der Priester in Avonsford hatte ihn in frühester Kindheit gelehrt, welche freiwillig und
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