Sarum
wenige Tote gegeben. Unter ihnen war aber ein älterer Ritter, der gar nicht hätte kämpfen sollen: Geoffrey de Whiteheath.
Im Juni kehrte Alicia stillschweigend in das Haus in der Castle Street zurück. Mit Verwunderung wurde ihr bewußt, daß sie zwanzig Jahre lang nicht in Sarum gewesen war.
Äußerlich hatte sie sich kaum verändert, nur die feinen Linien um ihre Augen, die nicht ohne Reiz waren, ließen ihr Alter ahnen. Ihr Haar hatte noch keine grauen Fäden. Was ihre Gefühle anlangte, war sie sich nicht so sicher.
Sie war nicht unglücklich gewesen. Ein Jahr nach der Hochzeit hatte sie Geoffrey de Whiteheath ein Kind geboren, aber es war ein Mädchen, und aus irgendeinem Grund bekam sie danach nicht den ersehnten Sohn. Geoffrey wurde alt ohne den Sohn, um dessentwillen er sie geheiratet hatte, und sie sah, wie sein breites, hübsches Gesicht allmählich einfiel und sich Linien des Alters zeigten und eine Trauer, die er nicht verbergen konnte. Ihre Tochter hatte ein Jahr zuvor geheiratet, und danach war er allein geblieben mit einer Frau, die ihn enttäuscht hatte, und mit einem schönen Besitz, an dem er keine Freude mehr empfand.
Als er sich König Heinrich unbedingt anschließen wollte, auch wenn er nur mit Mühe in sein Kettenhemd steigen konnte, wußte Alicia, was er vorhatte, und sie versuchte nicht, ihn zurückzuhalten. Und als er sich höflich und liebevoll von ihr verabschiedete, bemerkte sie zu ihrer Freude Entschlossenheit auf seinem alten Gesicht, als er zu der Schlacht aufbrach, aus der er, dessen war sie sicher, nicht mehr zurückzukehren gedachte.
Der Besitz ging auf seinen Bruder über. Alicia sah sich ausreichend versorgt und verließ Winchester ohne Bedauern.
Aber wie würde es weitergehen? Ich bin noch nicht alt, dachte sie, als sie sich der aufstrebenden Stadt ihrer Kindheit näherte. Die früher zur Hälfte leerstehenden Gevierte im nördlichen Teil der neuen Stadt waren nun fast alle zugebaut. Die Menschen aus der gesamten Südhälfte der Insel wurden von der blühenden Handelsstadt angezogen. Über ihren Dächern erhoben sich die langgestreckten Formen der fast vollendeten Kathedrale.
Alicias Vater war fünf Jahre zuvor gestorben, und ihr Bruder Walter hatte seine Nachfolge angetreten. Sie verbrachte drei angenehme Tage im Haus des Bruders, besuchte die Kathedrale und bewunderte ihre klaren Linien. Sie machte einen Anstandsbesuch bei ihrem schon recht gebrechlichen Onkel Portehors.
Als sie am dritten Abend mit ihrem Bruder allein war, dachte sie: Er ist wie sein Vater! Nur hatte er eine übertrieben großspurige Art, während Alan Le Portier immer sarkastisch und nüchtern gewesen war. »Hast du schon eine neue Verbindung in Betracht gezogen?« fragte Walter.
Sie lächelte. »Eine Heirat, meinst du? Ich glaube, ja.« Er blickte selbstzufrieden drein. »Ich habe einen Anwärter. Eine gute Partie.«
»Wirklich? So rasch?« Sie mußte lachen. »Wer ist es denn?«
»Ein Ritter mit einem herrlichen Besitz.« Er hielt inne, um die Wirkung seiner Worte zu unterstreichen. »Jocelin de Godefroi. Er ist sehr interessiert.«
Jocelin de Godefroi hatte sich im Alter von siebenundfünfzig Jahren von der Trauer um seinen Sohn erholt und beschlossen, ein neues Leben zu beginnen – nicht für sich, sondern für seinen dreijährigen Enkel. Aber würde er es schaffen, so lange zu leben, bis der Kleine sich seiner Haut wehren könnte? Er wäre dann fast fünfundsiebzig, und nur wenige Menschen wurden damals so alt. Noch war er gesund – er wollte es jedenfalls versuchen. Und eine Frau wollte er suchen.
So gab er seinen Entschluß bekannt und harrte der Dinge. Bald darauf kam Le Portier auf ihn zu. Die Idee mit Le Portiers Tochter war Godefroi nicht unangenehm. Es war zwar keine adlige, doch immerhin eine respektable Familie, außerdem war sie zwanzig Jahre lang die Ehefrau Geoffreys de Whiteheath gewesen und konnte einem großen Haus vorstehen. Und sie war erst sechsunddreißig. Bei diesem Gedanken trat zum erstenmal seit vielen Wochen ein Lächeln auf seine Lippen: Vielleicht konnte er ihr noch ein Kind machen. Er fühlte sich absolut in der Lage dazu. Außerdem hatte er zwei Besitzungen: Eine könnte er seinem Enkel Roger und die andere diesem Kind vermachen, wenn es ein Junge würde.
Also schickte er nach Walter und bat ihn, Alicia zu ihm zu bringen. Er traf die entsprechenden Vorbereitungen.
Alicia stand an der Ecke des Marktplatzes bei der BlauerEber-Zeile, als Peter Shockley sie
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