Sarum
entdeckte. Er starrte sie schweigend an, konnte es kaum fassen, daß sie es wirklich war. Er hatte einige Tage draußen auf dem Shockley-Hof verbracht, wo sein Vater gern den Sommer über blieb. Vom Tod ihres Mannes und von ihrer Rückkehr wußte er nichts. Mit ein paar Schritten war er bei ihr. »Du hast dich nicht verändert.« Er lächelte auf sie hinunter. Alicia schrak zusammen. Sie hatte Peter fast vergessen. Aber da war er nun, ein wenig stämmiger, doch noch auffallend gut aussehend. Bald hatte er ihre Geschichte erfahren und auch, daß sie sich an ebendiesem Tag mit Godefroi treffen würde.
»Er sucht eine Ehefrau«, sagte er nachdenklich. Sie lächelte. »Ich weiß.« Und dann hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen, wobei sie ihm geradewegs in seine blauen Augen blickte: »Aber vielleicht findet er keine.« Peter Shockley warb eine Woche um sie.
Er hatte sich all die Jahre eingeredet, daß er nicht auf sie warten werde. Aber nun, in ihrer Gegenwart, fühlte er eine freudige Erregung aufkommen, die er seit langem vergessen hatte. Und als er sie am dritten Tag an sich zog und küßte, war es die natürlichste Sache von der Welt. »Es ist, als wären wir immer zusammengewesen«, sagte er nur. »Ich weiß«, antwortete sie.
Aber das war nicht wahr. Für sie war, anders als für Peter, ihre Begegnung kein Wink des Schicksals. Die Vorstellung, Shockley zu heiraten, kam ihr erst, als sie an jenem Tag von ihrem Bruder eilfertig in die große Halle von Avonsford geführt wurde und sie den imposant aussehenden Ritter auf sich zukommen sah, das graue Haar sorgfältig mit der Brennschere gekräuselt. Aber er war ein alter Mann. In seinen Augen wohnte Trauer. Beides hatte sie schon einmal erlebt.
»Meine Antwort ist nein«, sagte sie Walter nachher zu seinem großen Leidwesen.
Es war jedoch viel schlimmer für den Bruder, als sie ihm eine Woche später eröffnete, daß sie Shockley heiraten werde. »Aber du bist jetzt eine Lady, die richtige Ehefrau für einen Ritter!« protestierte er. Er hatte es als angenehm empfunden, der Schwager von Geoffrey de Whiteheath zu sein. Die Verbindung mit Godefroi hätte ihm noch größere Vorteile gebracht. »Shockley ist nur ein Kaufmann.«
»Ich habe Geld«, betonte sie. »Ich kann tun, was mir gefällt.« Zur großen Freude des alten Edward Shockley heirateten die beiden im Monat darauf. Am Tag der Hochzeit gab Peter ihr zum zweitenmal ein kleines Medaillon an einer Silberkette. Für ihn war diese Hochzeit wie eine Wiedergeburt, und als er Alicia am Abend in das Zimmer auf dem alten Shockley-Hof brachte, das vor ihnen Edward und seine Frau bewohnt hatten, und als er sie in die Arme nahm, da war es, als fielen all die Jahre von ihm ab – er war wieder der achtzehnjährige Junge, der endlich mit seiner Braut vereint war. Alicia wußte dies. Und wenn sie auch nicht das gleiche empfand, so ließ sie es ihn nicht merken. Und sie freute sich, ihn so glücklich zu sehen. Zu ihrem eigenen Erstaunen erwachte sie mitten in der Nacht, zog ihn noch einmal an sich, diesmal aber mit einem kleinen Seufzer unerwarteter Leidenschaft.
Als Jocelin de Godefroi von der Heirat erfuhr, wurde er blaß vor Wut. »Dieser Kaufmann geht zu weit«, murmelte er, »wenn er glaubt, er könnte einem Godefroi die Braut wegnehmen.« Es war nicht nur sein verletzter Familienstolz – er fühlte sich persönlich gekränkt. Einige Tage lang grübelte er darüber nach.
Peter befand sich in einem derartigen Glückszustand, daß er kaum bemerkte, daß Godefroi auf seiner üblichen Runde durch sein Anwesen die Mühle nicht aufsuchte, und so begrüßte er ihn ganz arglos, als er ihn zwei Wochen nach der Hochzeit auf sich zukommen sah. Er fiel aus allen Wolken, als der Ritter, kerzengerade in seinem Sattel und mit abwesendem Blick, sagte: »Leider brauche ich einen neuen Pächter für diese Mühle, Shockley. Ihr müßt hier Ende des Monats weg.« Die Hypothek an Aaron war schon Jahre vorher zurückgezahlt worden; die Mühle lag auf Godefrois Grund und Boden. Shockley konnte vor Gericht gehen, doch selbst wenn er gewann, konnte Godefroi ihm das Leben zur Hölle machen.
Der Ritter entfernte sich, und Peter blickte ihm in ungläubigem Entsetzen nach. Nachdem er Alicia davon erzählt hatte, sagte sie: »Du mußt deinen Vater bitten, mit ihm zu sprechen.«
Peter lehnte das ab. Edward war alt und hinfällig, und außerdem lagen die Angelegenheiten der Shockleys jetzt in seinen, Peters, Händen. »Ich finde
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