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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Rat aufgenommen – das allein zählt.« Wenn seine Frau auch über diese Naivität lächelte, wußte der Kaufmann doch mit Sicherheit, daß die Ereignisse ihm eines Tages recht geben würden.
    In den beiden nächsten Jahren gab es einschneidende Veränderungen in der feudalen Welt. Die Freunde Montforts wurden formell ihrer Ländereien enteignet. Glücklicherweise jedoch wurde Godefroi der Aufstand seines Sohnes verziehen, und man ließ ihn auch diesmal ungeschoren. Simons Sohn kämpfte weiter, mußte aber von der Insel fliehen, und seine letzten Anhänger ergaben sich schließlich, nachdem sie den östlichen Teil um Ely gehalten hatten.
    Im Juni 1265 gebar Alicia ihrem Mann ihr erstes Kind, ein pausbäckiges gesundes Mädchen mit blondem Haar und den schönsten veilchenblauen Augen. Sie nannten sie Mary.
    »Sie soll einmal den Hof übernehmen«, versprach Peter seiner Frau und fügte heiter hinzu: »Alles, was wir jetzt noch brauchen, ist ein Sohn, der das Haus und die Mühle bekommen soll.«
    All diese großen Ereignisse, so meinte Osmund, der Steinmetz, gingen spurlos vorüber und sanken zur Bedeutungslosigkeit herab angesichts des riesigen, steinernen, grauen Bauwerks im Talgrund. Denn im Jahr des Herrn 1265 war der Bau der neuen Kathedrale fast vollendet. Die Kirche mit ihrem einfachen kreuzförmigen Grundriß, mit dem langgestreckten Mittelschiff, den hellen, luftigen Querschiffen, stand friedvoll auf dem Kirchengelände: fast sechsundzwanzig Meter hoch, fast hundertzwanzig Meter lang, das Bleidach nur von dem einzelnen quadratischen Turm unterbrochen, der es um wenige Meter überragte. Ein freistehender Turm war nahe der Nordseite des Geländes etwa fünfunddreißig Meter von der Kathedrale entfernt errichtet worden. Seine großen Glocken riefen die Gläubigen zum Gebet, und damit das Geläute im ganzen Tal gehört würde, hatte man den massiven Glockenturm sechzig Meter hochgezogen.
    Im Jahr des Herrn 1265 sollte Osmund, der Steinmetz, sein bedeutendstes Werk beginnen. Und es war auch das Jahr, in dem er der Macht einer Todsünde verfiel, die ihn fast zerstört hätte.
    An einem kalten, trockenen Märztag führte er seine kleine Familie stolz auf das Kathedralgelände, um seine Arbeit vorzuführen. Diese Besuche waren zu einem jährlichen Ritual geworden, seit zehn Jahre zuvor sein Sohn Edward zur Welt gekommen war. Osmund wollte, daß der Junge, der sicher auch zum Steinmetzen bestimmt war, ganz bewußt mit der großen Kirche aufwuchs, die sein Vater baute und an der er selbst eines Tages arbeiten würde.
    So hatte Osmund sie von Avonsford das Tal hinuntergeleitet, vorbei an dem Kastellhügel und durch die geschäftigen Straßen bis zur Kirche: seine Frau Ann, die beiden Töchter und den Jungen. Es war eine merkwürdige kleine Gruppe. Der Steinmetz, untersetzt, kurzbeinig, mit seinem großen, gewichtigen Schädel und einem rotgeäderten Gesicht, war sich seiner Würde wohlbewußt. Er war schließlich ein Meistersteinmetz und genoß Ansehen in der Stadt. Die drei Frauen sahen einander sehr ähnlich. Ann war eine schmale bläßliche Frau, weder hübsch noch häßlich, immer mit einem Hauch von unterschwelligem Unmut um sich. Sie blieb am liebsten in ihrem Haus in Avonsford mit den vier bescheidenen Räumen und dem Strohdach. Sie hatte wenig für die Stadt übrig, außer wenn ihre Töchter sie mit auf den Markt nahmen und sie überredeten, bunten Stoff oder billigen Tand zu kaufen, wonach sie sich widerwillig zu einem Lächeln verleiten ließ. Sie war etwas größer als der Steinmetz.
    Als letzter kam der zehnjährige Sohn, der mit seinem pummeligen Körper und dem großen Kopf fröhlich hinter den Frauen einhermarschierte und dabei unbewußt den schwerfälligen Gang des Vaters nachahmte, worüber die Leute lächelten.
    Während die Frauen das Bauwerk bewunderten, richtete Osmund das Wort an seinen Sohn. Er zeigte ihm die herrliche Westfassade – der letzte zu vollendende Teil des Ganzen –, die sich wie eine riesenhafte Bühne mit Reihen leerer Nischen neben dem Eingang und mit einem großen Mittelfenster erhob.
    »Siehst du, in manchen Nischen stehen schon Statuen. Aber wir machen noch mehr. Eines Tages wird jede Nische ihre Statue haben.«
    »Was sind das für Statuen?« fragte Edward. »Könige, Bischöfe, Heilige.«
    Wenn schon das Äußere des Bauwerks beeindruckend war, so war das Innere überwältigend, nicht nur das weiträumige Mittelschiff und die Seitenschiffe, die sich wie lange Tunnels in der

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