Sarum
Glauben an alles Religiöse. Für sie waren die Worte eines Geistlichen Gesetz. Als der Wagen das Tal entlangpolterte, schlug sie mit der Faust gegen die Seite und schwor ihrem Vater: »Nie wieder soll ein Jude mit mir fahren – nicht einmal, wenn der König es fordert.«
Auf dem Gelände der Kathedrale spielte sich an jenem Morgen eine traurige Szene ab. Osmund, der Steinmetz, konnte wirklich nur noch in ungläubigem Staunen über die eben erfahrene Kränkung die Luft anhalten, als er seinem Sohn gegenüberstand.
»Du willst mir also mitteilen, daß ich nicht mehr in der Kathedrale arbeiten darf?«
Edward Mason nickte verlegen. »Die Zunft hat es so beschlossen«, gab er zu.
Einen Augenblick lang konnte Osmund nicht sprechen, bis er endlich schrie: »Aber warum denn?«
Seit der Vollendung des Kapitelsaals und des Kreuzgangs hatte Osmund seinen Frieden gefunden. Seine wundervollen Reliefs hatten ihm Anerkennung gebracht. Der Zwischenfall mit Cristina, die inzwischen längst den Sohn Williams atte Brigge geheiratet hatte, war allmählich vergessen. Und der Steinmetz war froh, mit dem Beginn des Turmbaus wieder eine Aufgabe zu haben.
Etwas allerdings machte ihm Sorgen. Der Turm hatte keine Strebepfeiler, keine Außenstützen, um die Mauern aus Stein und Bruchstein zusammenzuhalten .
»Wenn sie höher sind, stürzen sie ein«, gab er den Domherren zu bedenken. Seine Befürchtungen waren begründet. Genaue Pläne wurden angefertigt, und Osmund war erst beruhigt, als ein Fachmann ihnen zeigte, was man’ tun sollte.
»Wir umwickeln den ganzen Turm rundum mit Eisenbändern, die wir mit dicken Bolzen in der Mauer befestigen«, erläuterte der Mann. Und genau so machten sie es; während des Aufmauerns wurde der graue Chilmark-Stein mit starken Eisenbändern befestigt.
Osmund liebte diese eigene Welt des in den Himmel ragenden Turms. Er selbst war zufrieden. Seine beiden Töchter waren verheiratet. Der einzige Stein des Anstoßes in den letzten Jahren war die Tatsache, daß sein Sohn mit König Eduard in die walisischen Kriege gezogen war. Edward Mason hatte herausgefunden, daß er mit seinen kurzen starken Fingern geeignet für die Kunst des Bogenschießens war. Er war in Ehren und mit einem Beutel voll königlicher Silbermünzen aus dem Krieg zurückgekehrt. Die Begabung seines Sohnes für das Langbogenschießen mißfiel Osmund sehr.
»Du bist ein Steinmetz«, erinnerte er ihn. Obwohl Edward seine Kunst in seiner Freizeit oft auf dem Schießstand außerhalb der Stadt übte, hatte Osmund ihm nie dabei zugesehen. Als es schließlich an der Zeit war, ihn in die Zunft der Meistersteinmetzen aufzunehmen, tat Osmund es nur widerwillig.
Er war jetzt neunundfünfzig. Er und seine Frau waren immer noch gesund, und er hatte noch alle Zähne bis auf drei. Doch kürzlich war eine Wandlung mit ihm vorgegangen.
Zuerst gab er seiner Frau die Schuld. Wenn auch ihr schmaler Körper alt wurde, erwies er ihr immer noch die gewohnheitsmäßigen Gefälligkeiten, wofür sie ihm, gelegentlich zumindest, dankbar war. Kürzlich jedoch hatte er festgestellt, daß sein Körper nicht mehr so funktionierte wie früher. Zunächst sagte er sich, es komme daher, daß ihn seine Frau nicht mehr interessierte, doch im Lauf der Monate mußte er sich eingestehen, daß diese Erklärung nicht ausreichte. Er merkte, daß sein Körper ihn allmählich im Stich ließ.
Osmund hatte sich angewöhnt, bei der Arbeit unaufgefordert zwischen den übrigen Steinmetzen umherzugehen, sie zu überwachen und barsch zurechtzuweisen. Wenn auch alle Steinmetzen ihn als den besten Bildhauer anerkannten, nahmen sie ihm seine Kritik bald übel. Oft tadelte er seinen eigenen Sohn öffentlich wegen eines angeblich nachlässig gearbeiteten Stückes oder einer schlechten Politur, und Edward nahm dies geduldig hin. Doch häufig schalt er auch andere aus, selbst seine Mitarbeiter. Er sagte etwa: »Die Linie ist schwach«, oder er schüttelte nur wortlos den Kopf über ihre Bemühungen. Edward hatte ihn verschiedentlich unter vier Augen darauf hingewiesen, daß sein Betragen auf Widerstand stieß, doch seinen Vater kümmerte das nicht. Als diese Überwachung anderer für Osmund zur Gewohnheit geworden war, trat die Steinmetzzunft in Aktion. Beim Turmbau wurden nur wenige Arbeiter gebraucht, und Osmunds gereizte Kommentare wurden zum großen Ärgernis.
»Es gibt auch Jüngere, die meißeln können«, sagten die Leute zu Edward, »es wird Zeit, daß dein Vater die Arbeit an der
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