Sarum
zuletzt, wie man die neuen Parlamente nutzte, um die Magnaten zu zähmen und die Steuern zu erhöhen.
Seine herrliche Haarmähne und sein Bart wurden allmählich weiß, aber er war immer noch ein gutaussehender Mann. Seinen Augen entging nichts, wenn er auch von seinem Vater ein hängendes Lid geerbt hatte, was mitunter den völlig irrigen Anschein erweckte, als schlafe er halb. Er war bester Laune auf dem Ritt nach Sarum. Solange seine Beamten verhandelten, wollte er im Wald von Clarendon jagen und die Kathedrale besuchen.
Osmund wußte, daß König Eduard und sein Gefolge bald durch die große Westtüre hereinkommen würden.
Draußen war ein heller Oktobermorgen angebrochen, doch drinnen waren die Kerzen angezündet und ließen die bunten Farben, das goldene und silberne Schmuckwerk und die herrlichen seidenbestickten Wandbehänge schimmern. Hinten im Kirchenschiff warteten neben dem Chorhaus Ritter und Beamte, darunter der alte Jocelin de Godefroi in einem prächtigen blauen Umhang und sein Enkel, um den Monarchen zu begrüßen. Daneben standen der Bürgermeister und Bürger. Das übrige Schiff war mit einfachem Volk gefüllt, zu dem Osmund gehörte. Er stand etwas abgesondert von der Menge. Im vergangenen Monat war er ein anderer geworden: Statt der stämmigen aufrechten Gestalt mit dem großen runden Schädel und dem geröteten Gesicht war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Seinen schweren Kopf hielt er traurig gesenkt, seine Schultern fielen nach vorn, seine Wangen waren hohl und blaß. Der Eindruck wurde noch verschlimmert durch seine Weigerung, sich zu rasieren, so daß dünne graue Haare, nicht Stoppeln, nicht Bart, auf seinem Kinn sprossen. Aus seinem stolzen Watschelgang war nun ein Schlurfen geworden. In weniger als einem Monat hatte er sich zu einem Greis gewandelt. Seit seiner Ausweisung aus der Kathedrale hatte er sich nicht nur aus der Welt der Steinmetzen, sondern auch von seiner Frau zurückgezogen. Nur in Edwards Gegenwart kam Leben in ihn. Andere Arbeit war ihm angeboten worden, doch er hatte abgelehnt. »Ich bin zu alt, kann nichts mehr sehen«, erklärte er verbittert. Er war heute nur in die Kathedrale gekommen, weil der Dekan durch einen Boten sein Erscheinen gefordert hatte.
»Der König hat die Reliefs im Kapitelsaal bewundert und wünscht den Steinmetzen zu sehen, der sie geschaffen hat. Also kommt zur Messe!« So murrte Osmund zwar, ging aber doch innerlich befriedigt hin. Trotzdem bestand er darauf, in einiger Entfernung von seiner Frau und seinem Sohn zu stehen.
Nun wandte die Menge neugierig die Köpfe. Osmund hielt den Atem an, als der König durch die Kirche schritt.
Nach der Messe, während einige Geistliche und örtliche Standespersonen eine respektvolle Runde im östlichen Kirchenschiff bildeten, wurden verschiedene Steinmetzen nach vorn geholt, und der König nickte ihnen huldvoll zu. Osmund war der letzte. Er erhielt eine kleine Tasche mit Münzen und hörte Eduard sagen: »Eure Skulpturen im Kapitelsaal – sehr schön, Steinmetz Osmund.«
Osmund verbeugte sich tief.
Als er kurz darauf die Kathedrale verließ, kam ein Höfling auf ihn zu.
»Ihr sollt nach Clarendon kommen«, lautete die Order, »gleich morgen früh. Der König wünscht Holzschnitzereien für seine Appartements dort.«
Als Osmund gerade seine übliche Absage erteilen wollte, schnitt ihm der Höfling das Wort ab.
»Befehl des Königs. Seid im Morgengrauen da, bevor er auf die Jagd geht.« Dann lächelte der Mann. »Der König schätzt Eure Kunst sehr, Steinmetz, selbst wenn Ihr die Domherren verärgert habt.«
Es blieb Osmund nichts übrig, als zu gehorchen.
Am Morgen nach der Messe machten sich noch zwei Personen zu Fuß auf den zwei Meilen langen Weg vom Osttor der Stadt bis zum Königspalast von Clarendon. Niemand hatte sie dazu aufgefordert. John, Wills Sohn genannt, glich seinem Vater William atte Brigge kaum in seiner äußeren Erscheinung; obwohl er strenggenommen Williams Wesenszüge geerbt hatte, hatte er sie doch in eine andere Richtung hin entwickelt. Während William gebückt ging, hielt er sich aufrecht. Er schritt dahin mit der wohlüberlegten Gelassenheit, die den schwerfälligen Gang seiner Vorväter nicht mehr ahnen ließ. Sein schmales Gesicht wirkte heiter und lebhaft, nicht grausam wie das des Vaters; seine Augen blickten im Gegensatz zu den listigen Augen Williams intelligent. Seine schmalen Lippen wußten gewinnend zu lächeln. Er hatte das bescheidene Tuchgeschäft der
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