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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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den Kopf. »Das darfst du nicht. Kaninchen sind unrein. Sie übertragen die Pest.«
    Seine grauen Augen blickten nicht sehr überzeugt, und Agnes spürte, daß dies eine Krise war. Wenn er jetzt auf Kaninchenjagd ging, würde ihre Autorität untergraben, und sie würde die kleine Familie in den bevorstehenden schwierigen Tagen niemals zusammenhalten können. »Die Pest schlägt zu«, sagte sie mit großer Gewißheit. »Vielleicht ist sie schon in Avonsford. Denke an die Kinder!« Er zögerte.
    »Wir müssen zusammenbleiben«, fuhr sie rasch fort, »und uns nicht von der Stelle rühren, bis alles vorüber ist. Du wirst sehen, wie es anderen ergeht.«
    John sagte nichts, aber zu ihrer Erleichterung kehrte er um. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Versprich mir, daß du mir gehorchst, bis die Pest vorüber ist«, bat sie ihn. Er starrte sie unwillig an. Langsam, mißmutig, nickte er. Das hatte sie fürs erste geschafft. Doch am nächsten Morgen versagte sie.
    Nicholas stand ihr näher von den beiden. Er war hübscher als John und noch sanftmütiger und arbeitete als Steinmetz in der Kathedrale für die ständig anfallenden Reparaturen. Als John in die Kriege nach Frankreich zog, blieb Nicholas zum Schutz für Agnes und die Kinder in Sarum. Es war Nicholas, der kurz vor der Morgendämmerung unbemerkt aus dem Schafstall schlich und in Richtung Stadt aufbrach. Als sie sah, was geschehen war, verzog Agnes nur wortlos die Lippen, aber sie wußte, was zu tun war. Er war froh, von Agnes wegzukommen. Manchmal hatte er Angst vor ihr. Was ihren Glauben an den Schutz vor der Pest betraf, so teilte er ihn nicht.
    Als er von der Hochebene in die tiefer gelegene Stadt ging, stand die Sonne schon am Himmel.
    Während er die Stadtgrenze passierte, war er in Gedanken ganz mit seiner Arbeit in der Kathedrale für diesen Tag beschäftigt, und erst am Marktplatz bemerkte er, daß irgend etwas anders war als sonst. Der Platz war um diese Zeit normalerweise ein einziges Menschengedränge, aber heute waren aus irgendeinem Grund nur ein paar Stände offen. Er zog seine gewöhnliche Runde östlich am Markt entlang und die High Street hinunter. Es fiel ihm auf, daß Shockleys Laden noch geschlossen war. Nichts in der ganzen High Street schien sich zu rühren. Er bog in die New Street ein; auch hier waren kaum Menschen unterwegs. In der Annahme, daß heute die ganze Stadt spät aufstand, ging er links in die Minster Street und durch das schöne neue Steintor, das in das Kathedralgelände führte.
    Nicholas liebte dieses Areal. Aber warum war es dort so still? Als er hineinging, sah der Pförtner am Tor ihn seltsam an, und nirgends war ein Priester zu sehen. Er ging durch das stille Kirchenschiff und arbeitete eine Stunde lang vor sich hin, eine kleine Reparatur in einer Ecke des Kreuzganges. Dann sah er auf das Gelände hinaus, ob immer noch niemand da sei. Der Pförtner klärte ihn auf. »Hast du es nicht gehört? Die Pest ist gestern nach Sarum gekommen. Sie soll schon in der Stadt sein. Viele Menschen bleiben zu Hause.«
    Auf der Straße fand Nicholas dies bestätigt. Die einzige Menschenansammlung sah er vor Shockleys Geschäft. Die Leute hämmerten an Tür und Fensterläden.
    Als er eine der Frauen nach dem Grund fragte, rief sie: »Er hat Kräuter da drinnen. Heilmittel gegen die Pest. Aber er öffnet niemandem.« Nicholas durchquerte die ganze Stadt, um Genaueres zu erfahren. Er hörte, daß die Pest schon in den Gehöften der Umgebung war, aber niemand wußte genau, wo. Die Menschen kamen jetzt aus ihren Häusern und fragten einander, aber niemand schien Näheres zu wissen.
    Gegen Mittag beschloß Nicholas, nach Avonsford zurückzukehren. Der Ort hatte sich völlig verändert. In der Hauptstraße schaute eine Gruppe von Dorfbewohnern ängstlich zum Himmel nach Anzeichen der dunklen Wolken, von denen sie vermuteten, daß sie die Pest brachten. Er fragte sich, ob Agnes nicht vielleicht doch recht gehabt hatte mit der Wahl des verlassenen Schafstalls. Die Bedrohung durch die Pest schien hier allenthalben gegenwärtig.
    Er nahm aus dem Cottage seiner Familie noch ein Wams und zwei Decken mit und verließ das Dorf.
    Dabei begegnete ihm das erste wirkliche Anzeichen der Panik, die die Gegend alsbald erfassen sollte.
    Das Haus des Priesters war kaum mehr als ein Cottage, denn sein Gehalt war bescheiden, und es hob sich nur dadurch ab, weil es etwas abseits von der Häuserzeile an der Hauptstraße stand und eine kleine Viehkoppel nebenan

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