Sarum
hatte.
Als er vorbeikam, lief der Priester heraus und packte ihn beim Arm. »Meine Schafe, Nicholas!« schrie der zahnlückige Vikar. »Komm schnell und schau meine Schafe an.«
Und als er ihm folgte, sah Nicholas drei Schafe tot auf der Koppel liegen.
»Was hat sie getötet?« fragte ihn der Priester angstvoll. Nicholas zuckte die Achseln. »Die Viehseuche vielleicht.«
»Es ist die Pest«, schrie der Priester völlig verzweifelt, »die Pest. Wir sind alle verloren!« Und er brach in Schluchzen aus. Nicholas hatte noch nie gehört, daß Schafe von der Pest befallen wurden, und er fragte sich, ob es wohl stimmte. Der Vikar weinte immer noch, als Nicholas sich wieder auf den Weg machte. Am Nachmittag kam er an den Schafstall. Er lächelte vor sich hin, als er den seltsamen Steinkreis sah. Trotz all ihrer Fehler war Agnes doch eine besondere Frau. Sie hat recht, gestand er sich ein. Wenn irgend jemand uns durchbringen kann, dann ist sie es.
Er lächelte, als er seinen jüngsten Halbbruder sah, einen vierjährigen dunkelhaarigen Jungen, der würdevoll mit Pfeil und Bogen an der Tür Wache hielt. Nicholas hörte den Freudenruf des Jungen, als er näher kam.
Der Morgen war für Agnes langsam vergangen. John hatte ihr keine Probleme bereitet, aber es war schwierig, die Kinder innerhalb des Steinkreises zu halten; irgendwie hatte sie es dann doch geschafft. Am Nachmittag hatten die Kinder vor sich hin gedöst, während sie ruhig am Eingang saß.
Es war windstill; man hörte nur das leise Kratzen von Johns Messer, mit dem er einen neuen Pfeil für die Kinder schnitzte. Eine Stunde später ließ sie die kleinen Jungen ihren Platz einnehmen, um selbst zu schlafen. Jetzt wachte sie von dem Ruf auf. Eine Sekunde lang blendete sie die Sonne, als sie hinausrannte und angestrengt in das harte gelbe Nachmittagslicht starrte. Er war nur hundert Meter entfernt; ihr kleiner Junge wollte gerade auf ihn zurennen.
»Zurück ins Haus, und dort bleibst du«, befahl sie. Dann ergriff sie den Bogen des Kindes und ging zum Steinkreis.
Er war überrascht, als Agnes ihm bedeutete stehenzubleiben. Da stand sie mit dem Kinderbogen in der Hand, ihr eckiges Kinn entschlossen nach vorne geschoben, wie er es so gut kannte. Hinter ihr sah er seinen Bruder John aus dem Haus kommen. Er lächelte. »Wo warst du?« Ihre Stimme war hart. »In der Stadt und in Avonsford.«
»Ist die Pest schon dort?«
Er zuckte die Schultern. »Vielleicht. Sie sagen, daß ein Mann in der Stadt gestorben ist, aber ich habe ihn nicht gesehen. Der Vikar«, er wies mit dem Daumen zum Dorf, »sagt, daß seine Schafe daran gestorben sind. Mir kam es wie Viehseuche vor.« Er kam näher. Zu seiner Verwunderung legte sie ruhig den kleinen Pfeil an den Bogen und spannte ihn. »Keinen Schritt weiter.« Sie hielt den Bogen ganz fest. Der Pfeil zeigte direkt auf sein Herz. »Geh zurück«, sagte sie ihm. »Du darfst hier nicht mehr herein.«
Sie sah sein verstörtes Gesicht. Es tat ihr weh, als wäre es ihr eigener Sohn. Aber sie wußte, daß sie nicht weich werden durfte. Sie sahen einander schweigend an. Keiner bewegte sich.
Jetzt stand John neben ihr. Sie konnte ihn atmen hören. »Laß ihn herein, Mutter«, sagte er sanft. Am Ton seiner Stimme merkte sie, daß er dachte, sie habe den Verstand verloren. »Du hast versprochen, mir zu gehorchen«, erinnerte sie ihn. »Laß ihn herein.« Diesmal war es ein Befehl.
Sie rührte sich nicht. Und sie nahm ihre Augen nicht von Nicholas. Wenn sie jetzt nachgab, wäre alles verloren. John streckte die Hand aus, um ihr den Bogen wegzunehmen. »Wenn du mich anrührst, schieße ich dich nieder.« Sie hörte ihre eigene Stimme, hart und unbeugsam. Sie spürte, wie er seine Hand zurückzog. »Wenn die Pest in der Stadt ist, kann er sich angesteckt haben«, sagte sie. »Das Risiko ist zu groß. Wenn er sie hat, sterben wir vielleicht alle.« John sagte nichts. Sie wußte, daß er ihr nicht glaubte. Dann sprach Nicholas zu ihrer Überraschung. »Sie hat recht. Ich gehe.« Er wandte sich ab und rief dann nach kurzem Nachdenken: »Ich komme jeden Tag und berichte euch, wenn die Pest vorbei ist.« Er schritt davon. Langsam senkte sie den Bogen.
John sanftes rundes Gesicht war wutverzerrt, seine Stimme voller Verachtung. »Was hast du getan?«
»Ich habe uns gerettet«, antwortete sie nur.
Am nächsten Tag zeigten sich bei Rose de Godefroi die ersten Anzeichen. Zuerst bemerkte es niemand. Sie war stolz auf ihre einfachen
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