Sarum

daraus getrunken; in der Mitte stand das Wasser immer noch etwa dreißig Zentimeter hoch und war sauber. »Das ist unser Wasser«, erklärte Agnes.
    Auf dem Rückweg wies sie auf den Steinkreis. »Die Steine werden uns beschützen«, erklärte sie, »weil sie unsere Grenze sind: Niemand – kein Fremder und kein lebendiges Tier – soll den Kreis betreten.« Und sie erklärte ihnen jetzt, warum sie darauf bestanden hatte, nicht nur Johns Langbogen, sondern auch die kleinen Bogen und Schleudern mitzunehmen, die er für die Kinder zur Vogeljagd gemacht hatte. »Wenn sich irgend etwas nähert, werden wir es mit den Steinschleudern vertreiben; wenn das nicht wirkt, töten wir mit Pfeilen«, sagte sie. »Wir werden Tag und Nacht Wache halten.«
    John betrachtete sie gespannt. »Und was, wenn Menschen kommen?«
    »Wenn sie den Kreis betreten, erschieße ich sie«, antwortete sie. »Es muß sein«, behauptete sie, zu allem entschlossen. In Wahrheit wußte Agnes Mason selbst nicht genau, was sie tat. Als der Ritter davon sprach, daß die Pest sich Avonsford näherte, hatte sie lange und gründlich über die Sache nachgedacht. Sie glaubte dem Ritter nicht nur, sie sah auch, warum die Pest kommen mußte. Obwohl Agnes Mason nicht lesen oder schreiben konnte, war ihr Kopf voll von nützlichem, wertvollem Wissen. Es waren Kenntnisse, die ihr ihre Mutter sorgsam weitergegeben hatte – nicht nur über die Führung ihres kleinen Haushalts, sondern es war auch ein großer Fundus an Bräuchen und Kräuterheilkunde. Sie erinnerte sich genau an alles: Von Kindheit an hatte sie ein erstaunliches Gedächtnis gehabt. Und nun hatte sie angestrengt nachgedacht.
    Sie wußte allerlei. Sie wußte zum Beispiel, daß diese Pest von Gott als Strafe für die Sünden der Menschen geschickt wurde: Als sie ein Kind war, hatte ihr der Vikar vom Fall Babylons erzählt, von der großen Flut, von der Zerstörung von Sodom und Gomorrha. Und jetzt war die göttliche Strafe im Anzug.
    Gab es keine Hoffnung? In früheren Zeiten wurde guten Menschen wie Noah gezeigt, wie sie den entsetzlichen Heimsuchungen entkommen konnten. Sie zermarterte ihren Geist, um herauszufinden, wie sie ihre Kinder retten könnte.
    Schließlich glaubte sie eine Lösung gefunden zu haben. »Die Tiere übertragen die Pest«, behauptete sie.
    Kaum jemand in Sarum hätte ihr zugestimmt. Vom Ritter bis zum bescheidensten Dorfbewohner glaubten alle, daß Krankheiten entweder durch angesteckte Menschen übertragen würden oder durch Einatmen schlechter Dämpfe, die Wind und Regen mitbrachten. Agnes allein war zu einer anderen Einsicht gekommen. Denn sie erinnerte sich an die Predigt eines schmalen, blassen Dominikaners. Er hatte gewarnt: »Das Böse ist überall und umgibt euch. Die Welt ist unrein.« Und er zitierte aus dem Buch Leviticus: »Das Kaninchen und der Hase sind unrein, weil sie wiederkäuen, aber keine Paarhufer sind. Ihr Fleisch sollt ihr nicht essen und ihre Kadaver nicht berühren. Die Eule und den Kuckuck und die Fledermaus, auch alles, was auf der Erde kriecht – das Frettchen und die Eidechse, das Wiesel und die Maus – sie alle sollt ihr verabscheuen. Berührt sie«, rief er, »und ihr seid besudelt!« Wenige kümmerten sich darum, aber Agnes erinnerte sich genau.
    An einigen Stellen, brach und unwirtlich, wurde das gewellte Hochland von Mensch und Tier gemieden. Je mehr sie über das kreidige Ödland, über das nur der Himmel hinwegging, nachdachte, desto sicherer wurde sie, daß dies die Gegend war, die Gott ihr vorbestimmt hatte. »Wir werden aufs Hochland gehen, um der Pest zu entkommen«, sagte sie. »Dort sind wir sicher.« Zuerst weigerten sich die Brüder. Aber sie bestand darauf, und schließlich gaben John und Nicholas ihrem unbeugsamen Willen wie immer nach.
    Jetzt mußte ihre Autorität sich beweisen: Wenn ihr Plan funktionieren sollte, durfte ihre Autorität nicht einmal für einen Augenblick in Frage gestellt werden – es durfte kein Zeichen der Schwäche geben. Die erste Prüfung fand am Abend statt.
    Es war etwa eine Stunde vor Einbruch der Dämmerung. Die Familie hatte das leichte Mahl aus Weizenkuchen beendet, und John stand leise auf, um hinauszugehen. »Wohin gehst du?«
    Er grinste fröhlich. »Zum Labyrinth, Kaninchen fangen.« Das zwei Meilen westlich liegende Labyrinth der Godefroi-Ritter war dem Verfall preisgegeben. Im Umkreis der Eiben hatte sich auf dem weichen Boden eine ständig wachsende Kaninchenkolonie entwickelt. Agnes schüttelte