Sarum
verbrachte einen Tag in Avonsford. Während dieser Zeit wurden zwei Männer auf den Feldern ohnmächtig, und man trug sie nach Hause.
Am nächsten Morgen ging Nicholas zum Schafstall hinauf, blieb außerhalb des Steinkreises und berichtete, wie die Pest nach Avonsford gekommen war. Da er annahm, daß die Ansteckungsgefahr überall gleich groß sei, ging er wieder in die Stadt.
Große Veränderungen waren vor sich gegangen. Menschen eilten ängstlich mit Taschentüchern vor dem Gesicht durch die Straßen. Es waren bereits mehrere Menschen gestorben – keiner wußte, wie viele. Während Nicholas über den Marktplatz ging, sah er einen Wagen mit zwei Leichen zum Stadttor hinauspoltern. Es gab keine vernünftige Planung; Bürgermeister und Stadträte hatten sich wie alle anderen in ihren Häusern eingeschlossen. Vor Shockleys Haus wartete diesmal keine Menge. Die Leute gingen auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorbei; niemand wußte genau, was drinnen vor sich ging, doch von Zeit zu Zeit hörte man würgende Geräusche von innen.
»Sie haben alle die Pest«, erzählte ihm ein Nachbar, »in den Lungen. Man sagt, daß der Wilson-Junge sie draußen auf dem Gehöft angesteckt hat, und William Shockley schwor, sie dafür an die Luft zu setzen.« Er zuckte die Schultern. »Dafür wird er nicht mehr lange genug leben.« Wie zur Bestätigung brach drinnen ein Hustenanfall los, und beide Männer eilten fort.
Manche Leute verließen die Stadt. An der Ecke der New Street sah er einen kleinen Zug bedeckter Wagen mit einigen Familien, einschließlich der von Le Portier, dem Tuchvermesser. Er fragte den verhutzelten Kutscher des ersten Wagens, wohin er sie fahre.
»Nach Norden«, der Bursche verzog das Gesicht. »Ich soll nach Norden fahren, heißt es. Wer weiß, wo sie enden werden?« Auf seinem harten, schmalen Gesicht erschien ein Grinsen. »Sie bezahlen mich. Ich fahre sie zur Hölle, wenn sie zahlen.«
Das Gelände um die Kathedrale lag still da. Keine Menschenseele ließ sich blicken. Als Nicholas über den leeren Hof zur Kathedrale ging, rief ihn plötzlich eine laute Stimme. »Steinmetz!«
Er erkannte die Stimme sofort. Von all den ungebärdigen jungen Geistlichen war der Chorvikar Adam der hoffnungsloseste Fall – selbst an ihren eigenen lockeren Maßstäben gemessen, galt er als Ärgernis. Nicht weil er irgendwelche Missetaten begangen hätte – tatsächlich war kein Quentchen Bosheit in seiner Natur –, sondern weil er ein solcher Wirrkopf war. Ständig war er in Kapriolen oder unsinnige Querelen verwickelt. Kein junger Mann war derart ungeeignet für das Priesteramt. Doch wenn man ihn fragte, warum er nicht einen anderen Beruf gewählt habe, antwortete er wie viele andere junge Männer zur damaligen Zeit: »Wie soll ein armer Mann sich sonst ernähren und auf Weiterkommen hoffen?« Nun schrie der Chorvikar so laut, daß seine Stimme übers Gelände schallte: »Schau, Steinmetz, die Welt hat sich heute verändert. Nur du und ich sind hier, kein Priester weit und breit.«
»Hast du keine Angst vor der Pest?« fragte Nicholas. »Ich? Nein. Ich hab’ ein Heilmittel.« Er zeigte auf zwei Säckchen, die an seinem Gürtel hingen. »In einem sind sechs Knoblauchzehen, im anderen sechs Zwiebeln. Die Pest kommt nicht in meine Nähe.« Nicholas überlegte, ob das ein Witz sein sollte – aber es war auch nicht seltsamer als die anderen Mittel, die die Menschen ausprobierten. Nicholas verbrachte den Tag mit Arbeit in der Kathedrale. Abends kehrte er nach Avonsford zurück, wo er erfuhr, daß die Beulenpest Rose de Godefroi befallen hatte. Zwei weitere Menschen im Dorf, zwei Frauen diesmal, waren betroffen, eine hatte schreckliche Beulen, die andere hatte die Lungenpest.
Am nächsten Morgen ging er wieder auf die Hochebene. Diesmal blieb er in einiger Entfernung vom Steinkreis stehen. »Bleibt, wo ihr seid. Kommt nicht herunter«, sagte er zu seiner Familie. »Die Pest ist überall und breitet sich immer weiter aus.« In seinen schlimmsten Alpträumen hätte sich Nicholas nicht ausmalen können, was in den nächsten zehn Tagen folgen sollte. Zu Beginn der Krankheit konnte dies niemand ahnen. Zeitweise fragte er sich, ob ganz Sarum aussterben würde.
Die Ansteckung tobte durch die Stadt wie ein reißender Strom. Manche raffte die Pest innerhalb von Stunden hinweg; bei anderen wurden die Lungen befallen, und die Sterbenden husteten Blut und Schleim. Die Widerstandsfähigeren erlagen den Beulen, die im letzten
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