Sarum
tat.
Die Männer hießen Eustace Godfrey, Michael Shockley, Benedict Mason und John Wilson. Und jeder von ihnen hatte an diesem Abend eine besondere Aufgabe zu erfüllen.
Die Aufregung in der Stadt Salisbury hatte nichts mit den Ereignissen in der übrigen Welt zu tun. Dennoch hatte es in der jüngeren Vergangenheit Englands nicht an Dramatik gefehlt. Der tapfere Sohn Johanns von Gent, dessen ausgedehnte Güter der Lancaster-Linie sich über Teile von Wessex unweit von Sarum erstreckten, hatte den Thron seines unglücklichen Vetters Richard II. an sich gerissen, und so begann die Regentschaft des Hauses Lancaster. Daraufhin hatte der Sohn des Usurpators, Heinrich V, in der berühmten Schlacht von Azincourt einen Großteil Frankreichs erobert; doch die Franzosen gewannen – angespornt von jenem außergewöhnlichen sechzehnjährigen Mädchen Johanna von Orleans – ihr Land Stück für Stück zurück. Es waren bewegte Zeiten. In Sarum nahm man jedoch kaum Notiz von diesen großen Ereignissen auf dem Kontinent.
Jetzt bahnte sich gerade ein weiteres Drama an; im Jahr vor der Schlacht von St. Albans hatten die Kämpfe zwischen den rivalisierenden Linien der Königsfamilie, Lancaster und York, begonnen, die später als Rosenkriege in die Geschichte eingingen – eine irreführende Bezeichnung. Zwar war die weiße Rose das Emblem des Hauses York, die rote Rose dagegen wurde erst viel später, in der Zeit der Tudors, vom Königshaus angenommen.
Das Haus Lancaster stellte nominell den König. Praktisch jedoch herrschte der Rat, der dreißig Jahre lang von mächtigen Magnaten geführt wurde: zuerst, bis zu dessen Tod, von Beaufort, dem Großonkel des französischen Königs und Bischof von Winchester, und dann von der willensstarken Frau Heinrichs VI. Margarete von Anjou. Die Bürger von Salisbury kümmerten sich auch nicht um diese königlichen Querelen. Wenn königlicher Besuch kam, legten die Stadträte zum Empfang ihre Talare an. Sie schickten Barden nach Clarendon. Die Machtkämpfe zwischen den Parteien der Lancaster und der York aber wurden von Gefolgsmännern oder gedungenen Söldnern ausgefochten, während die Stadtbewohner ihren Geschäften nachgingen. Im Jahre 1456 stand, nachdem jahrhundertelang Bittschriften eingereicht worden waren, die letzte Eingabe, die wiederum bereits seit fünfzig Jahren lief, offenbar kurz vor dem Erfolg: Endlich sollte Sarums großer Bischof Osmund heiliggesprochen werden, und Salisbury sollte einen eigenen Heiligen bekommen. Die Angelegenheit konnte in wenigen Monaten abgewickelt sein.
Aber die majestätische Kathedrale lag hinter den Mauern des Kirchengeländes in ihrer eigenen Welt verschlossen, und die Stadtbürger interessierten sich kaum dafür. Obwohl das Große Schisma Anfang des Jahrhunderts stattgefunden hatte und die Päpste wieder von Rom aus über eine vereinigte katholische Kirche herrschten, blieb diese Herrschaft nach außen hin wirkungslos. Italien war fern, und derzeit gab es wenige ausländische Priester auf der Insel. Die Stadtbewohner hatten ihre Handwerkerzünfte und religiösen Bruderschaften mit eigenen Kapellen und Votivkapellen – nicht in der Kathedrale, sondern in den kleineren Gemeindekirchen von St. Thomas, St. Martin und St. Edmund innerhalb der Stadt. Auch die Religion war zu einer lokalen Angelegenheit geworden.
Was die Kathedrale betraf, bewegte die Bürger von Salisbury nur eines: daß der Bischof immer noch der oberste Lehnsherr der Stadt war. Dies störte sie, nicht weil er sie unterdrückte, sondern weil ihnen grundsätzlich jegliche Einmischung zuwider war.
Das war nichts Neues. Bereits eineinhalb Jahrhunderte früher hatten die Bürgermeister und die Stadträte ohne Erfolg versucht, dieses Lehnsjoch abzuschütteln und eine Charta für ihre Stadt zu erhalten. In den letzten Jahren jedoch hatte sich die Spannung zwischen dem Bischof und der Stadt, die sein Besitz war, verschärft.
»In Wahrheit wollen und brauchen wir keinen Bischof«, bemerkte Shockley. Dieses eigenständige Selbstvertrauen besaßen die meisten Kaufleute von Salisbury.
Kein Ort im England des fünfzehnten Jahrhunderts war wohlhabender als Sarum. Dabei spielten zwei Dinge eine Rolle. Erstens hatte es eine ideale Lage – im Norden die gewellten Kalkhügelkämme mit riesigen Schafherden und nicht weit davon die reiche Käse- und Milchregion von NordWiltshire. Zweitens wurde in der Gegend Tuch hergestellt. Die Tuchweberei war der Schlüssel zum Wohlstand. Als Shockley und
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