Sarum
erlaßt, ohne überhaupt für sie zu beten. Ebenso bin ich gegen die einfältige Sitte, Kerzen zu stiften.«
»Gegen die Kerzen ist nichts zu sagen«, brach es aus Stephen heraus, er selber hatte zu einer kleinen Bruderschaft von Kaufleuten gehört, die für ihren Schutzpatron Kerzen stifteten. »Es ist ein Akt der Ehrfurcht.«
»Und ihr bezahlt der Kirche dafür«, bemerkte Martin. »Die Bibel schreibt ein einfaches Leben vor, Armut, gute Werke und Gebet. Sie sagt nichts über mächtige Prälaten wie unseren Herrn, den Bischof von Sarum.«
Auf diese ungeheuerliche Dreistigkeit wußte Portehors nichts zu entgegnen.
»Noch etwas?« fragte er bedrohlich. »Möchtest du, wie Wyclif, vielleicht auch den Papst absetzen?« legte er ihm sarkastisch nahe. »Den Papst. Welchen?« fragte Martin freundlich. Daraufhin verzog Portehors nur das Gesicht.
Sosehr Stephen die Unbedachtheit seines Sohnes schockierte, mußte er doch seine unbeugsame Haltung bewundern; und als Portehors sich verabschiedet hatte, ging er in das Lager, wo die Tuchballen aufbewahrt wurden, und verbrachte dort mehrere Stunden allein. Er konnte nicht sagen, ob er persönlich die Ansichten seines Sohnes teilte oder nicht. Zwei Tage später erhielt er eine eindeutige, aber unauffällige Warnung, Martin im Auge zu behalten; das war alles.
Wenn auch der junge Portehors den arroganten jungen Kaufmann gerne unter der Folter gesehen hätte, verhielten sich die kirchlichen Autoritäten – vielleicht, weil sie es nicht so ernst nahmen und oft selbst korrupt waren – den Reformen gegenüber großzügig. In England gab es keine Inquisition; und der Erzbischof Sudbury von Canterbury war Wyclif sogar in dessen heftigsten Ausschreitungen nur zögernd entgegengetreten.
»Und wer sind nun die besten Christen?« fragte Stephen seinen Sohn ein paar Tage danach.
»Die ärmsten Mönche und die Mystiker«, antwortete Martin unverzüglich.
In seinem Herzen konnte der Kaufmann nicht widersprechen. Viele Menschen in diesem Jahrhundert, das vom Schwarzen Tod überschattet war, hatten diese Überzeugung. Aber wie auch immer seine Gedankengänge gelegentlich sein mochten, so war Stephen Shockley doch ein praktisch veranlagter Mensch. »Du hast deinen Protest geäußert«, sagte er nur, »aber jetzt mußt du an deine Familie denken. Entweder mußt du mein Haus und Sarum verlassen, oder du mußt deine Überzeugungen für dich behalten.« Martin erklärte sich widerwillig bereit, vorläufig zu schweigen.
Der gespannte Friede zwischen Martin Shockley und den Kanonikern der Kathedrale währte nur bis zu den Ereignissen des Juni 1381. Der Bauernaufstand drang nicht bis Sarum vor. Die große Horde, empört über die neue Kopfsteuer des Königs, die die Armen am härtesten traf, kam aus Kent und Essex. In London wählten sie Wat Tyler zu ihrem Anführer und versetzten die Stadt tagelang in Schrecken. Glücklicherweise war das bald ausgestanden. Der beherzte junge König Richard trat ihnen entgegen und versprach, ihre Forderungen zu erfüllen. Dann töteten seine Getreuen Tyler, und bald danach, ungeachtet aller Zusagen des Königs, wurden die Rebellenführer grausam bestraft. Vernünftige Männer wie Stephen Shockley seufzten erleichtert auf. Jetzt aber waren die Mächtigen über die allgemeine Unzufriedenheit auf dem Lande beunruhigt. Die Rebellen im Osten wurden von dem »tollen Prediger von Kent«, John Ball, aufgestachelt, seine Anhänger sangen den Reim: Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?
Ein unziemlicher, aufrührerischer Gedanke, den man nicht tolerieren durfte. Es mußte Herren und Diener geben, oder das gesamte Gesellschaftsgefüge würde zusammenbrechen. Ihre Forderungen, daß die Leibeigenschaft enden und das Statute of Labourers, das Arbeitergesetz, abgeschafft werden sollte, waren ebenfalls nicht Rechtens. Zwar hatten sich die alten Lehnspflichten die letzten anderthalb Jahrhunderte gelockert, und das Arbeitergesetz konnte die Löhne oft nicht drücken. Aber zu fordern, daß altehrwürdige Verpflichtungen vergessen werden sollten, stand auf einem anderen Blatt. Es war eine Frage des Prinzips.
Es war nicht weiter überraschend, daß viele – vor allem die Kirche – Wyclif für diese Unruhen verantwortlich machten. »Er stellt sich gegen die Obrigkeit und ermutigt törichte, unwissende Menschen zu der Vorstellung, sie könnten das Gesetz in ihre eigenen Hände nehmen«, sagte Portehors zu Stephen Shockley. »Ich hoffe, dein Sohn wird seine Lektion
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