Sarum
Wilson im Jahrhundert zuvor mit dem Tuchexport begannen, gliederten sie sich einem eben aufstrebenden Geschäftszweig ein. Inzwischen hatte er alle anderen überflügelt. Die Stadt produzierte nicht nur Seide und andere Textilien, sondern im ganzen westlichen Teil des alten Wessex, von Wiltshire bis Somerset, florierte die lukrative Herstellung von Tuchbahnen wie nie zuvor. Großkaufleute und Landbesitzer verdienten ein Vermögen. Jedes Dorf hatte jetzt seine Weber und Färber, jeder Bach – deren gab es unzählige – hatte seine Walkmühle.
Der Ort, wo die fünf Flüsse sich trafen, war ein Handelszentrum, über das der Reichtum des gesamten Herzlandes von Wessex lief. Die Stadt war ganz auf Gewerbe hin organisiert – vom kleinsten Lehrling, der die sieben Lehrjahre für sein Handwerk ableistete, bis zu den großen Männern des Rates der Achtundvierzig und des Inneren Rates der Vierundzwanzig, die die geschäftlichen Belange wahrnahmen. An diesem Tag aber, im vierunddreißigsten Jahr der Regentschaft von Heinrich VI. rüstete sich der Ort für ein großes Fest, das am folgenden Tag stattfinden sollte: das Johannisfest.
Die Bürger von Salisbury, dieser glücklichen Stadt, hatten allen Grund, die Sommersonnenwende des Jahres 1456 zu feiern.
Um sechs Uhr verließ Eustace Godfrey sein Haus im MeadowBezirk im Südosten der Stadt.
Entschlossen und wohlgemut machte er sich zur New Street auf den Weg. Er trug seine beste, mit Fuchspelz eingefaßte Robe und einen schmalen Goldreif auf dem Kopf. Sicherlich würde sein Plan für diesen Abend seiner Familie wieder zu ihrem früheren Ruhm verhelfen. Denn heute abend wollte er seine beiden Kinder verheiraten. »Schließlich wäre jeder in der Stadt stolz darauf, einen Godfrey zu heiraten«, hatte er zu seiner Frau gesagt.
Sein Großvater hatte das Anwesen von Avonsford schließlich verkauft. Wie fast jeder Landbesitzer in England – selbst Großgrundbesitzer wie Johann von Gent und der Bischof von Winchester – hatte es die Familie Godefroi für ökonomischer erachtet, ihr ganzes Land zu Lehen zu geben, als steigende Löhne und ein allgemeiner Rückgang in der Landwirtschaft die eigene Bewirtschaftung der Anwesen unrentabel machten. Aber während die Großgrundbesitzer beträchtliche Pachteinkünfte erzielten, was ihren Lebensunterhalt sicherte, hatten die Godefrois ihre Kosten nicht niedrig halten können. Im Jahre 1420 verkauften die Herren von Avonsford ihr Wohnhaus mit dem noch verbleibenden Land an den Earl of Salisbury, und da sie nun keine Grundbesitzer mehr waren, zogen sie nach Salisbury.
Zur Zeit von Eustaces Vater war dann aus dem französischen Namen die englische Version Godfrey geworden, und unter diesem Namen war die Familie nun in der Stadt bekannt.
Godfrey war stolz darauf, daß das große vierstöckige Haus mit dem Hof weitab vom geschäftlichen Treiben der Stadt in der Nähe des Kathedralgeländes und des schönen alten Hauses der Grauen Mönche lag. Vom obersten Stockwerk konnte er das Dach des Bischofspalastes sehen. Es war gut, in der Nähe des Bischofs zu wohnen. Sein kostbarster Besitz war die schwere Pergamentrolle mit dem langen Stammbaum der Godefrois. Nichts befriedigte ihn mehr, als wenn seine Frau – Tochter eines Brauereibesitzers aus Wilton, mit der er seit zwanzig Jahren glücklich verheiratet war –, dieses Dokument immer noch ehrfurchtsvoll betrachtete.
Seine Kinder lagen ihm fast ebenso am Herzen: Oliver, ein gutaussehender, intelligenter junger Mann von neunzehn Jahren, Student der Rechtswissenschaft, und die sechzehnjährige Isabella, schlank und brünett, von der er immer wieder staunend feststellte: »Sie ist ein Juwel.« Nun war die Zeit gekommen, da der Junge eine Verbindung eingehen und das Juwel verlobt werden sollte.
Er hatte die Möglichkeiten sorgsam erwogen, aber auch die Vorzüge seiner Kinder. In bezug auf erstere war er optimistisch, aber noch im unklaren; was letztere betraf, war er sich gewiß.
»Ihr tragt einen vornehmen Namen«, sagte er zu Oliver, »und genauso wichtig: Ihr habt Verbindungen.« Verbindungen gab es zum Beispiel zum Bischof. Godfrey teilte die Ablehnung der übrigen Stadtbewohner gegenüber der Kathedrale nicht – tatsächlich hatte sich die Diözese im letzten halben Jahrhundert hervorragender und gelehrter Bischöfe rühmen können.
Der jetzige Amtsträger, Bischof Beauchamp von Salisbury, war eine einflußreiche Persönlichkeit, dem Königshof eng verbunden, wo Mitglieder seiner noblen
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