Sarum
mit Füßen, während er, leise vor sich hin murmelnd, an ihrem langen Haar zerrte. Er war stark und zu allem entschlossen, und als sie seine langen Arme um ihren Leib spürte, war ihr klar, daß er sie vergewaltigen wollte. Sie wehrte sich verbissen weiter. Rufe von der Straße her waren ihre Rettung. Plötzlich, als sie ihre Kräfte schwinden fühlte, hörte er die Stimmen, bekam es mit der Angst und floh, während sie zitternd und wie gelähmt zurückblieb. Zufällig ging zu ebendiesem Zeitpunkt Edward Wilson mit zwei Gehilfen am Haus vorbei und hörte ihre Schreie.
Wie es auch zweifellos Zufall war, daß der junge Portehors eine mysteriöse und dringende Botschaft seiner Geliebten erhalten hatte, sie am selben Abend nach Einbruch der Dunkelheit am Marktplatz zu treffen. So kam es, daß er, als sie zum Rendezvous nicht erschien, nicht weit von der Szene der Missetat gesichtet wurde. Es war sein Pech, daß Wilson und seine Gehilfen die schmale Gestalt verfolgten, sie dann aus den Augen verloren und einige Augenblicke danach Portehors entdeckten. Es war jedoch kein Zufall, daß Edward Wilson am nächsten Morgen eine rein private Unterredung mit Bischof Erghum verlangte. Er war wie immer ehrerbietig. »Wie Ihr gehört habt, Euer Gnaden, versuchte jemand gestern abend die Frau von Shockley zu vergewaltigen.« Erghum nickte. Die Familie war zwar in Ungnade gefallen, aber dennoch hatte er keine Sympathie für Verbrechen dieser Art. »Ungute Sache«, sagte er bloß.
»Euer Gnaden, ich sah den Täter.«
Erghum blickte überrascht auf. »Dann meldet es sofort meinem Gerichtsvollzieher. Er wird ihn einsperren.«
Wilson blickte nachdenklich zu Boden und legte eine Pause ein, ehe er sagte: »Es war Portehors, Euer Gnaden – Euer Kaplan.« Erghum fuhr auf: »Unsinn, er hat einen tadellosen Charakter.« Wilson schüttelte den Kopf. »Nicht ganz.« Und er legte minutiös dar, was von Portehors’ Affäre mit der Frau des Eisenwarenhändlers bekannt war. »Er ist schließlich ein junger Mann…« lenkte er nachsichtig ein. Der Bischof musterte ihn aufmerksam. Sein Instinkt sagte ihm, daß dieser Teil der Geschichte stimmen konnte. »Und Ihr habt ihn genau erkannt, als er aus Shockleys Haus rannte?«
»Ich fürchte, ja.« Edward verneigte sich respektvoll. »Hat noch jemand sein Gesicht gesehen?«
»Meine beiden Gehilfen. Aber ich habe ihnen gesagt, sie sollen den Mund halten. Schließlich haben wir ihn ja überrascht, bevor das Schlimmste geschah…«
»Ja. Ja.«
Jetzt ahnte Erghum, worauf Wilson hinauswollte, aber er ließ ihn den nächsten Schritt tun.
»Die Stadt ist zur Zeit in Unruhe«, fuhr Wilson gelassen fort. »Es geschah ja kein Unglück. Aber wenn jetzt nach dem bekannten Ärger von Euer Gnaden mit den Shockleys eine solche Affäre vor Gericht käme, dachte ich… die Städter…« Er zögerte und wartete. Bischof Erghum wußte, daß er nie genau herausfinden würde, was Wilson getan hatte, aber er konnte sich das meiste zusammenreimen; und er bewunderte die Schlauheit dieses Halunken.
Er hat mich in die Falle gelockt, dachte er. Laut sagte er: »Ich soll also die Shockleys in Ruhe lassen?« Wilson schwieg.
»Haltet den Jungen im Zaum«, knurrte Erghum. »Ich dulde hier keinen Lollarden. Versteht Ihr?«
Wilson verbeugte sich tief, und der Bischof winkte ihn hinaus. Stephen Shockley war höchst angetan, als Wilson vorschlug, Martin solle nach Calais fahren, um für ihn diesen Herbst Geschäfte zu tätigen. Der junge Mann war mehrere Monate unterwegs. Nach dieser Zeit schien der Bischof die Sache mit der Mühle vergessen zu haben. Cecilia Shockleys Bedroher wurde nie gefunden.
Wenn Edward Wilson in späteren Jahren auf sein langes Leben zurückblickte, sah er keinen Grund, seine Lieblingsansicht zu ändern. Er konnte nur lachen, wenn er feststellte: »Die meisten Menschen sind Dummköpfe.«
D IE R OSE
1456
In der Stadt herrschte erwartungsvolles Treiben. Schon prangten an den Dachtraufen vieler schmalgiebeliger Häuser Blumendekorationen oder bunte Tücher. Gruppen bunt gekleideter Männer und Frauen zogen fröhlich durch die Straßen zu den Gasthäusern oder zu den Hallen der Handwerkergilden, aus denen Festtrubel schallte. Es war früher Abend, und es würde noch ein paar Stunden hell sein. Morgen war ein großer Tag.
Rein zufällig verließen vier Männer in verschiedenen Stadtbezirken ihre Häuser genau in dem Augenblick, als die Uhr am Glockenturm auf dem Kathedralgelände gerade sechs Schläge
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