Sarum
Will hatte nicht ganz verstanden, was das bedeutete, bis er sie eines Tages, als er seinem Vater beim Reparieren des Taubenschlages helfen mußte, allein im Garten spazieren sah und bemerkte, wie sie, als ihr Gatte unerwartet auf sie zuging, ängstlich vor ihm zurückschreckte. Vergangenen Monat hatte ihn Forest hinausgeworfen. Das war auf erstaunliche Weise vor sich gegangen.
Obwohl seine Nachbarn schon ausgezogen waren, lebte er noch in dem kleinen Cottage, weil er nicht wußte, wohin.
Eines Morgens kamen zehn Männer. An einem einzigen Tag rissen sie die vier Cottages ein. Sie nahmen keinerlei Notiz von ihm, als er ruhig mit seiner wenigen Habe dastand und sie bei der Arbeit beobachtete. Am Ende des Tages war sein kleines Cottage ein Schutthaufen. Er schlief diese Nacht in einem Heuschober im südlichen Teil des Dorfes. Seine Nachbarn rissen sich nicht darum, ihm zu essen zu geben; er konnte es ihnen nicht verübeln – sie mußten sich um ihre eigenen Familien kümmern. Schließlich gab man ihm aber doch ein paar Weizenkuchen.
Am nächsten Tag sah er, daß die Männer wieder kamen, diesmal mit Leiterwagen, um Steine und alles noch brauchbare Material wegzuschaffen. Wieder schlief er im Heuschober. Am dritten Morgen brachten die Männer schwere Pflüge und vier Ochsengespanne. Den ganzen Tag pflügten sie den Grund, wo die Cottages gestanden hatten, und das umliegende Gemeindeland. Am nächsten Tag pflanzten sie die Weißdornhecke, die nun Forests fünf Morgen große Felder umgab. Durch diese Einzäunungspolitik der Feudalherren wurde Gemeindeland in Privateigentum umgewandelt.
Mehrere Wochen lang versuchte Will, Unterkunft zu finden und seinen Lebensunterhalt zusammenzukratzen. Ansässige Bauern gaben ihm hier und da Arbeit als Taglöhner und ein Quartier für die Nacht, aber eine ständige Bleibe fand er nicht. In der Stadt zeigten die Handwerkergilden wenig Interesse an dem Habenichts ohne Freunde, der eine Lehrstelle suchte. Er beschloß, auf Wanderschaft zu gehen. So kam er eines Morgens im April ins Avon-Tal, um vor seiner Abreise zum letzten Mal den Sonnenaufgang zu erleben. Jetzt hoben sich die Nebel; er konnte den Fluß mit dem grünen Tang sehen. Im Herrenhaus erwachten die Menschen. Während die letzten Nebelschwaden flußabwärts zogen, kehrten die Schwäne zurück und landeten mit ausgebreiteten Flügeln sanft auf dem Wasser. Er wandte sich zum Gehen. Er hatte sich von Avonsford verabschiedet; jetzt wollte er noch einen letzten Besuch machen: der großen Kathedrale im Tal. Er wollte noch ein letztes Mal alles betrachten, dort beten und dann aufbrechen.
Sein Plan hatte jedoch einen Haken. Wohin sollte er sich denn wenden? Er hatte keine Ahnung. Im Grunde war es ihm gleichgültig. Über eine Woche hatte er sich diese Frage gestellt.
Ich werde zur Kathedrale gehen und den heiligen Osmund fragen, beschloß er.
Auf der kleinen Holzbrücke unten im Dorf sah er die Lady vom Herrenhaus.
Sie hatte in den Fluß geblickt, aber nun drehte sie sich um und beobachtete ihn, wie er näher kam. Sie trug einen langen schwarzen Umhang, doch keine Kopfbedeckung, so daß ihr das graue Haar über den Rücken fiel.
Er fragte sich, was diese vornehme Dame so früh am Fluß tun mochte. Aber konnte er wissen, was im Kopf der vornehmen Herrschaften vorging? Jetzt ist sie alt, dachte er, doch sie muß einmal sehr schön gewesen sein.
Lizzie war vierzig Jahre alt und wußte, daß sie älter aussah. Sie war allein zum Fluß hinuntergegangen, weil ihr Mann, dem sie, als er kurz nach Morgengrauen übelgelaunt aufgewacht war, törichterweise widersprochen hatte, sie schlagen wollte. Sie hatte gehofft, daß mit ihrem zunehmenden Alter seine Gewalttätigkeit ihr gegenüber nachlassen könnte, aber das war nicht der Fall. Statt den Tag schmerzvoll zu beginnen, hatte sie lieber schnell das Haus verlassen.
Seltsam – dieses Haus, das sich das temperamentvolle Mädchen Lizzie Curtis stets erträumt hatte, war wie ein Gefängnis für sie, manchmal sogar eher eine Folterkammer.
Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, wie sie früher gewesen war – jene unbeschwerten Tage schienen so fern. O ja, sie hatte bekommen, was sie wollte: Wohlstand, schöne Kleider, ein vornehmes Haus – alles für den Preis langer kalter Jahre: wenn sie darauf zurückblickte, schauderte sie. Lizzie hatte stromabwärts geblickt. Wie oft hatte sie vom Haus aus dasselbe getan, immer mit dem gleichen Gedanken: Bald würde das Wasser, das sie gerade sah,
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