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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sanft um die große Flußbiegung am Stadtrand fließen. Wenn sie nur in die Fluten tauchen und mit ihnen südwärts schwimmen könnte!
    Sie war oft nahe daran, aufzugeben. Aber sie wußte, daß Robert die Kinder behalten oder sie entführt hätte, wenn sie sie mitgenommen hätte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, sie bei ihm zurückzulassen. In den letzten Jahren hatte sich eine für sie schreckliche Entwicklung abgezeichnet: Die Kinder begannen trotz der harten und manchmal grausamen Behandlung mit ihrem Vater gegen sie Partei zu ergreifen.
    Wenn ihr Vater ins Zimmer kam und mit seinen kalten drohenden Augen umhersah, hatten sie sich früher ängstlich an sie gedrängt. Sie waren blasse kleine Geschöpfe und wirkten so schutzbedürftig. Wie oft hatte sie seine Zornesausbrüche über sich ergehen lassen, um sie zu beschützen.
    Jetzt aber waren sie fast erwachsen. Roberts Ärger richtete sich nur noch selten gegen die beiden, vielmehr hauptsächlich gegen sie. Wenn er sie dabei in Gegenwart der Kinder aufs ärgste verfluchte, stellte sie traurig fest, daß sie sie nicht verteidigten. Sie waren nicht einmal entsetzt. Statt dessen sah sie die Augen der beiden ungerührt und teilnahmslos auf sich gerichtet, so wie eine Katze einen verwundeten Vogel belauert. Sie brauchten sie nicht mehr. Nun waren sie die Kinder ihres Gatten.
    Lizzie sah den jungen Mann auf die kleinen Brücke zukommen. Sie erkannte ihn und versuchte sich an seinen Namen zu erinnern. Natürlich, es war der junge Wilson, den ihr Mann aus seinem Cottage vertrieben hatte. Sie blickte ihn neugierig an und lächelte vor sich hin. Die Gesichtszüge des Jungen waren ihr sehr vertraut. Sie erinnerten sie an Roberts Vater, den alten John Wilson, die Spinne. Jahre zuvor, als sie zum erstenmal den Jungen und seinen Vater gesehen und die Ähnlichkeit bemerkt hatte, fragte sie sich, ob sie aus der gleichen Linie stammten; aber aus Furcht vor seiner Reaktion hatte sie das Thema ihrem Gatten gegenüber nie erwähnt. Schließlich war er jetzt ein Forest. »Du bist doch Will Wilson?« fragt Lizzie. Er nickte und sah mißtrauisch zu ihr auf. »Was tust du hier?«
    »Ich verlasse Sarum. Hier hält mich nichts mehr.«
    »Wohin willst du denn?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Dann sagte die Lady aus tiefstem Herzen etwas, was ihn zutiefst verblüffte: »Wie ich dich beneide!«
    Das klang so unglaublich, daß er sie nur entgeistert anstarrte. Es kam ihm plötzlich in den Sinn, daß sie verrückt geworden sein könnte. »Du verläßt deine Familie in Avonsford?«
    »Sie sind alle tot, Lady.«
    Sie faßte nach dem kleinen Portemonnaie an ihrem Gürtel. Es mußte ein Goldstück darin sein. Sie zog es heraus. »Hier«, sagte sie mit einem Lächeln. »Nimm es. Viel Glück auf deiner Reise.« Er griff rasch nach der Münze, bevor die Verrückte ihre Meinung ändern konnte. Dann eilte er davon. Er schlenderte eine Weile in der großen Kirche umher, bevor er sein Ziel ansteuerte. Wie herrlich sie war mit den aufragenden Bögen und den reich bemalten Kapellen und Votivkapellen. Der Schrein des heiligen Osmund war prächtig bemalt und vergoldet und sogar mit Edelsteinen bestückt.
    Will kniete vor dem glänzenden Schrein des Heiligen von Salisbury nieder und betete inbrünstig: »Wohin soll ich gehen? Führe mich, Osmund. Sende mir ein Zeichen.«
    So blieb er einige Zeit. Der Schrein glitzerte im Dämmerlicht; am Ende fühlte Will sich getröstet, auch wenn er kein Zeichen erhalten hatte. »Ich werde nach dem Zeichen Ausschau halten«, dachte er. »Osmund wird es schicken.« Und damit verließ er die Kirche.
    Am Marktplatz wurde seine Aufmerksamkeit durch einen seltsamen Anblick gefesselt.
    Es war eine kleine Prozession: ein Priester, zwei Meßdiener mit brennenden Kerzen und zwei Chorknaben, die feierlich einen steifen alten Mann um den Friedhof von St. Thomas herumführten. Hinter dem alten Mann gingen einige Menschen – anscheinend Familie und Freunde –, unter denen er die stämmige Gestalt des Glockengießers Benedict Mason erkannte. Die Chorknaben sangen einen Psalm, während der alte Mann, wie ein Mönch mit einer groben Wollkutte und Sandalen bekleidet, schweigend und mit gesenktem bloßem Haupt folgte. »Was ist das?« fragte er einen Passanten.
    »Eine Einschließung«, antwortete ihm der Mann. »Er wird Einsiedler. Sie bringen ihn zu seiner Zelle.«
    »Wer ist es?« fragte er. »Eustace Godfrey.« Will hatte noch nie von ihm gehört.
    Die Zeremonie der Einschließung war

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