Sarum
Severn und der bedeutende Hafen von Bristol. Oder er konnte sich nach Südosten in Richtung Winchester oder zum Hafen von Southampton wenden. Weiter östlich lag dann London. Das ist zu weit, überlegte er. Und doch reizten ihn die unbekannten Möglichkeiten, die es dort geben mußte.
»Ich werde den Weg nach Bristol nehmen«, beschloß er und setzte sich in Marsch.
Die Straße war, wie die meisten im damaligen England, nicht mehr als eine erkennbare Route, auf der die Menschen reisten. Sie war weder befestigt noch auf irgendeine Weise markiert: Es war einfach ein breiter Weg über die Hochebene, von Füßen festgetreten und mit Spuren von Pferdehufen und Wagenrädern, die über Jahrhunderte hinweg diesen Weg genommen hatten. An einigen Stellen, wo der Boden weich war, zogen sich die Spuren oft Hunderte von Metern auseinander, an anderen Stellen, auf einem felsigen Grat etwa, führten sie schmal nebeneinander her. Primitiv wie in prähistorischen Zeiten war diese Straße. Als Will nach einer Meile an einem Kornfeld angelangt war, brach der Sturm los – aber ganz anders als erwartet.
Eine Stunde lang dachte er, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Es war, als stürze die Himmelskuppel über der Hochebene ein. Blitz und Donner knallten wie Explosionen aus einem riesigen Kanonenrohr. Und das ging so ohne Pause.
»Gott steh’ mir bei«, rief Will. Osmunds tröstender Schrein schien plötzlich sehr fern und machtlos. »Mutter Gottes«, flehte er, »rette mich!« Die zuckenden Blitze schlugen um ihn herum in den Boden: Es war fast, als habe es der Gewittersturm auf ihn persönlich und seinen Untergang abgesehen. Er war mutterseelenallein. Einen Augenblick lang dachte Will, der Sturm werde abziehen; doch dann kehrte er mit alptraumartiger Gewalt zurück. Der Junge fiel zu Boden, rollte sich wie ein Igel zusammen und fühlte sich splitternackt, während der Sturm an ihm zerrte.
Da geschah das Übernatürliche, das schreckliche Wunder. Es war nur ein einziger Blitzstrahl. Der Knall erfolgte so plötzlich, als spalte sich die Erde unter ihm.
Erst dachte Will, er sei getroffen worden. Aber als er hochsah, entdeckte er, daß der Blitz etwa sieben Meter von ihm entfernt eingeschlagen hatte und nun auf der Erdoberfläche nach Osten raste, wobei er in einer schnurgeraden, hundert Meter langen Linie einen Feuerstreifen durch das Kornfeld schnitt. Zu Wills Erstaunen befand sich, wo vor einer Sekunde noch ein nasses Feld gewesen war, ein schwarzer rauchender Weg – wie ein gigantischer Wegweiser.
Während er darauf starrte, merkte er plötzlich, daß der Gewittersturm, der offenbar dieses erschreckende Phänomen verursacht hatte, weiterzog.
Er stand langsam auf. Der Regen ließ allmählich nach. Vorsichtig näherte er sich dem Fleck, wo der Blitz eingeschlagen hatte, um ihn zu untersuchen. Außer der Schwärze war nichts Ungewöhnliches zu entdecken.
Aber warum war da diese schnurgerade Feuerspur durch das Kornfeld? So etwas hatte er noch nie gesehen.
Wie hätte Will auch wissen können – der nie von den Römern oder ihren Legionen gehört hatte, der nichts von der untergegangenen Siedlung Sorviodunum oder der Villa von Porteus ahnte –, daß unter dem Kornfeld seit tausend Jahren eine kleine eisenbefestigte römische Straße verborgen lag, ein perfekter Blitzableiter, an dem sich der Blitzeinschlag geerdet hatte?
Minutenlang stand Will da und vergaß sogar den Sturm, der sich über die Hügelkämme nach Norden verzog. Der verkohlte Weg – der Wegweiser – lag vor ihm.
Mutter Gottes, heiliger Osmund, dachte er schließlich. Dies muß das Zeichen sein.
Das Zeichen zeigte nicht nach Bristol im Nordwesten. Es wies nach Osten. Nichts konnte eindeutiger sein. Also gehe ich nach London, beschloß Will.
N EUE W ELT
1553
Eine wunderbare neue Welt wurde geboren, ein gefährlicher Ort für Menschen, die ein Gewissen hatten.
Als Edward Shockley an jenem Aprilmorgen mit der kleinen Gemeinde in der St.-Thomas-Kirche Abigail Mason und ihren Mann Peter beobachtete, wie sie ihre selbstgestellte Aufgabe erfüllten, hatte er die plötzliche Vorahnung, daß ihnen bald Gefahr drohen werde. Er sorgte sich um Abigail. Und dennoch würde ihre Tat sicher vom Bischof Capon, den Friedensrichtern, ja vom König selbst gutgeheißen werden. Sie zerbrachen eben ein Kirchenfenster. Peter Mason kniete, Abigail stand neben ihm. Die bunten Scherben lagen schon auf dem Steinboden, und Peter zerkleinerte sie mit einem Hammer. Hin und wieder
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