Sarum
hinstrichen, kreisten und hinabstießen.
Als Ralph am Feldrand stehenblieb, kam der Junge näher. Es war ein hübscher Bursche mit einem wirren braunen Haarschopf und einer langen, schmalen, leicht gebogenen Nase. Er konnte nicht älter als zehn Jahre sein und war erbärmlich mager. »Ganz allein?« fragte Ralph freundlich.
Das Kind nickte. »Ihr seid der erste Mensch, den ich heute zu Gesicht bekomme, Sir.«
»Und was treibst du hier?«
Der Junge machte eine ausholende Geste über das Feld hin. »Ich scheuche die Vögel von der Saat weg.«
»Wann bist du gekommen?«
»Bevor es hell wurde.«
»Und wann gehst du nach Haus?«
»Kurz bevor es dunkel wird.«
»Hast du heute schon etwas gegessen?«
»Nein, Sir.«
»Und wer schickt dich hierher?«
»Mein Vater, Sir.«
»Was macht er?«
»Er arbeitet auf dem Hof.«
»Ist es sein Hof?«
»Nein, der von Mr. Jones.«
»Wo ist das?«
»Avonsford.«
Ralph nickte. »Du bist also eine lebendige Vogelscheuche«, sagte er lächelnd. »Wie heißt du?«
»Godfrey, Sir. Daniel Godfrey.« Daniel Godfrey – eine menschliche Vogelscheuche. Das war ein alltäglicher Anblick. Wie viele Tage in diesem Frühling mochte Daniel Godfrey allein auf einem Feld stehen und die Arme schwenken? Nachdenklich machte Ralph sich auf den Heimweg.
Im Jahre 1830 geschah in Sarum etwas Schreckliches. Die Bürger waren entsetzt, doch Ralph Shockley überraschte es nicht im mindesten. Im November 1830 machte die Landbevölkerung einen Aufstand.
Das war nichts Neues. Die Ludditen im Norden hatten oft Krawall geschlagen und Maschinen zerstört. Ab und zu gab es kleinere Unruhen in Sarum, wenn etwa die Tucharbeiter Lohnerhöhung forderten oder gegen neue Maschinen protestierten.
Doch diesmal war es etwas anderes. Es hatte zwei Mißernten gegeben. Gleichzeitig hatten Gutsbesitzer, genau wie die Tuchproduzenten, Maschinen angeschafft. Diesmal war es kein gemeinsames Aufbegehren: Es gab Dutzende von kleineren Rotten, hörte Ralph, die in Hampshire und Wiltshire Getreideschober niederbrannten und Maschinen zerstörten. »Das ist der Beginn einer Revolution«, prophezeite Kanonikus Porteus grimmig.
»Es ist eher der Beginn einer Landwirtschaftsreform«, verbesserte Ralph ihn.
Es war keines von beiden: Der Aufstand von Salisbury war eine todernste Angelegenheit.
Am 23. November 1830 bewegte sich ein Pöbelhaufen über die Anhöhe nordöstlich der Stadt, bekannt als Bishopsdown. Die Männer zertrümmerten unterwegs eine Dreschmaschine.
»Es sind Tausende, und sie sind bewaffnet«, behauptete ein junger Geistlicher, der die High Street entlang aufs Kathedralgelände zueilte. »Die Yeomanry ist schon unterwegs. Diese Kerle wollen uns umbringen.« Ralph glaubte ihm nicht. Er sagte seinem Sohn, er solle Agnes ins Haus von Porteus bringen. Ralph selbst ging durch die Stadt, über den Marktplatz, dann nach Osten am Black-Horse-Geviert vorüber bis zum offenen Gelände am östlichen Stadtrand mit dem Namen Green Croft. Da sah er die Leute über sich auf den Abhängen.
Es war ein eindrucksvoller Haufen – nicht Tausende, doch einige hundert. Sie hatten Knüppel, Eisenstangen und Maschinenteile bei sich. Sie waren aufgebracht und außer sich. Ralph beobachtete, wie sie sich auf die Stadt zubewegten.
Er stand neben einem jungen Weber. »Die Leute auf dem Kathedralgelände glauben, daß sie von denen umgebracht werden.«
Der Weber schüttelte den Kopf. »Sie sind auf die Gießerei von Fige aus«, sagte er, »auf Maschinen, nicht auf Menschen.«
»Das habe ich mir gedacht.«
Unter dem Beifall der Menge ritt ein angesehener Gentleman aus Salisbury, Mr. Wadham Wyndham, mutig an der Spitze einer Spezial-Polizeitruppe auf sie zu. Die Polizisten blickten besorgt drein; nicht so Wyndham.
Da bemerkte Ralph noch etwas. In einiger Entfernung hinter ihnen war eine große Abordnung der Yeomanry aufgezogen. Die Prozedur war einfach, und Wyndham befolgte die Vorschriften genau. Zuerst forderte er den Pöbel auf, sich zu zerstreuen. Die Leute drangen jedoch weiter vor. Dann befahl er, die Aufruhr-Akte, die friedliches Auseinandergehen verlangte, zu verlesen. Die Leute nahmen keinerlei Notiz davon. Sie befanden sich jetzt alle auf dem Green Croft. Es gab keine Alternative. Wyndham erteilte der Yeomanry den Befehl zum Angriff.
Der Kampf dauerte nicht lange. Die Yeomanry war gut ausgebildet und bewaffnet, die Arbeiter keineswegs. Innerhalb von wenigen Minuten wurden sie am St.-Edmunds-Kirchhof vorbei weiter
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